Der Preis des Lebens
und Bersten eines einstürzenden Dachstuhls.
Trasma bedachte Lorn mit einem nachdenklichen Blick. Dann hob auch er die Hand. Seine Augen flammten kurz grün auf.
Im nächsten Moment traf Lorn etwas unsagbar Heißes mitten im Gesicht. Es fühlte sich an, als ob ihm jemand Tausend glühende Nadeln über die Haut zog. Lorn schrie gequält auf, riss die behandschuhten Hände vors Gesicht und wand und krümmte sich wie ein Wahnsinniger brüllend im blutigen Matsch, ehe er gurgelnd in Asche und Schlamm liegen blieb; feine Rauchfähnchen stiegen von seinen Händen auf, die er nach wie vor aufs Gesicht gepresst hatte, als wären sie durch die Hitze mit seiner Haut verschmolzen.
»Wir wollten ihn leben lassen«, hörte der Jagam noch einmal Fios nun leicht verärgert klingende Stimme wie aus weiter Ferne. »Damit er sich erinnert . Erinnerst du dich, Trasma?«
»Oh, er wird leben, keine Sorge«, erwiderte Trasma kalt und schien mittlerweile genauso weit weg zu sein wie der andere Priester, ja der Rest von Lorns Welt. »Und er wird sich erinnern ...«
7.
»Irgendwann sahen die Seeleute und ihr Kapitän die Rauchfahnen und eilten über die Hügel, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sie konnten nichts weiter tun, als die Toten aus den rauchenden Ruinen zu bergen und ihre Überreste im Sinne der Kirche auf einem Hügel zu begraben. Und natürlich kümmerten sie sich um Lorn, den sie in der Asche vor seinem Elternhaus fanden und mit zurück aufs Schiff nahmen.«
Narija kuschelte sich in Viscos Umarmung. »Was hat dieser komische Priester mit ihm gemacht?«, fragte sie neugierig.
Visco musste zugeben, dass er das nicht wusste. Er vermutete aber, dass nicht einmal Lorn genau sagen konnte, was für ein grausamer Zauber es war, der ihm die Narben eingebracht und die Farbe seines Haares gekostet hatte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete der Vampir daher wahrheitsgemäß. »Er hat Lorn wohl zeichnen wollen. Vielleicht auch von anderen Menschen ausgrenzen. So etwas. Wer weiß schon, wie so ein Höllenpriester denkt, Prinzessin?«
»Hmmm.« Narija küsste flüchtig Viscos Hals. »Und wieso ist Lorn nicht mehr im Orden der Jagam, obwohl er die Rüstung trägt? Wegen der Narben? Haben sie ihn rausgeworfen, weil er von der Finsternis besudelt war?«
Visco lächelte. Eigentlich hätte er das Gespräch spätestens jetzt in eine andere Richtung lenken müssen, da Lorns Zerwürfnis mit dem Orden die Sache des Jagam war. Doch in den letzten acht Tagen, da Lorn sich unruhig im Fieber hin und her geworfen hatte, ohne auch nur einmal für mehr als zwei oder drei Minuten zu erwachen, war er einsam gewesen. Einsamer als in all den Monaten und Jahren seit seiner Rückkehr aus der Finsternis. Bis auf die strenge alte Kräuterfrau des Dorfes und Flank, der gelegentlich vorbeikam, hatte niemand ein echtes Gespräch mit Visco geführt. Kein Wunder: Inzwischen wusste das gesamte Dorf von seiner Tat und machte sich Gedanken über seine Natur, insofern die Egemunder nicht genug mit ihrer Trauer zu tun hatten. Denn die erfolgreiche Verteidigung Egemundes hatte einen hohen Preis von vielen Familien gefordert, die Ehemänner, Väter und Brüder verloren hatten.
Der Preis des Lebens, sinnierte Visco bedrückt und roch an Narijas nach Kamille duftendem Haar, um sich von diesem Gedanken abzulenken.
Die junge Frau war die einzige, die freiwillig aus ihrem Schneckenhaus der Trauer herauskam und die Nähe zu Visco suchte. Außerdem war sie die letzten Abende äußerst nett zu ihm gewesen.
»Die Seeleute pflegten Lorn, bis er körperlich wieder halbwegs auf den Beinen war«, begann Visco also leise und ungewohnt vertrauensselig. Er fühlte sich wohl und entspannt in Narijas Nähe, was seine Zunge schneller löste als Wein oder Bier, gegen deren Wirkung er ohnehin immun gewesen wäre. »Da waren sie aber schon wieder eine knappe Woche auf See. Lorn hat mir einmal erzählt, dass er lange Zeit ernsthaft darüber nachgedacht hat, einfach über Bord zu springen. Doch als er Tag für Tag auf dem Deck stand und auf die Wellen starrte, weigerte sich irgendetwas in ihm, aufzugeben und auf dem Grund des Meeres zu sterben. Vielleicht sein unglaublich starker Durst nach Rache.«
»Sein Hass rette ihm das Leben?«
»Ja.« Visco kraulte abwesend Narijas Nacken.
»Traurig«, meinte Narija. »Wie geht es weiter?«
»Was denkst du denn? Er kehrte nach Justica zurück. Dort schilderte er den Vorfall in seinem Heimatdorf und bat um eine kleine Armee seiner Brüder, um mit ihnen die
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