Der Preis des Lebens
eine Karawane aus dem Osten überfallen und eine kurvenreiche Kaufmannstöchter geraubt, die er später zur Ehe gezwungen hatte – mit allem drum und dran, von der heidnischen Trauungszeremonie vor den wilden Granitgöttern des Gebirges bis hin zur wahrscheinlich nicht weniger wilden Hochzeitsnacht. Aus dieser Verbindung war Mersina hervorgegangen – für den Clan scheinbar Fluch und Segen zugleich, wie der zugegebenermaßen ziemlich hübsche Mischling eben erzählte:
»Nachdem sich die Krieger des Stammes ständig nur um mich geschlagen haben, hat mein Vater mich zum Wohle des Clans verstoßen und aus dem Gebirge verbannt, sobald ich die Volljährigkeit erreicht hatte«, erklärte die Trollin mit einem hinreißenden Lächeln zwischen Traurigkeit und Stolz, das ihre exotischen Züge erhellte. Selbst die Stimme der Trollfrau war Versuchung pur. »Mein Vater drohte damit, jeden, der mir folgen würde, an den Brustwarzen zurück ins Dorf zu zerren und an den Füßen über der Feuergrube in der Mitte des Dorfes aufzuhängen.«
Lorn sah Visco erwartungsvoll an und wartete auf die Bekundung, dass der Vampir sich von einer solchen Drohung niemals hätte aufhalten lassen.
Doch Visco schwieg.
Was äußerst untypisch für ihn war. Seit wann ließ sich Visco DeRául eine günstige Gelegenheit entgehen, eine Frau mit charmanten Schmeicheleien zu umgarnen, selbst wenn sie nur halb so schön gewesen wäre wie Mersina?
Lorn musterte seinen Gefährten kritisch und bemerkte daher als Erster, dass mit Visco etwas nicht stimmte.
»Was hast du, Scharfzahn?«, fragte er alarmiert.
Viscos Blick war fest auf den Höhleneingang gerichtet – und auf das, was hinter diesem lag, auf die kleine Lichtung und den düsteren Wald, der seine hell- und dunkelbraunen Finger gierig nach dem Vorplatz des Höhlenpalastes ausstreckte.
»Ich weiß nicht.« Viscos Sinne griffen nach draußen und erforschten den Bereich vor der Höhle. »Leben«, murmelte er verwirrt und schloss die Augen. »Viel Leben. Kleine Tiere, oder so. Viele ... verdammt viele ... beunruhigend viele ...«
Lorn folgte Viscos Blick und runzelte die Stirn. Die feinen Narben in seinem Gesicht spannten sich.
Vampir und Jagam erhoben sich annähernd synchron und schritten zum Eingang. Und erstarrten.
Vor Mersinas Höhle hatte sich ein riesiges Heer aufgestellt. Es mussten Hunderte sein, zum Teil in voller Rüstung und bis an die Zähne bewaffnet. Ihre Gesichter und die darin blitzenden Augen versprachen den Tod.
Dennoch waren sie lautlos wie Geister aus dem Dunkel des hinter ihnen aufragenden Waldes gekommen.
Was wahrscheinlich an ihrer Größe lag.
»Kobolde«, sagte Lorn nüchtern.
»Scheiße«, konstatierte Visco wenig hilfreich.
3.
Lorns Blick glitt über das Heer, das einen Meter vor dem Unterholz Reihe um Reihe Aufstellung bezogen hatte.
Die Kobolde waren höchstens so groß wie die Hand des Jagam. Sie trugen derbe Lendenschurze aus Leder oder Maulwurf- und Rattenfell, manche von ihnen nicht einmal das. Ihre sehnigen kleinen Körper waren mit verschnörkelten Tätowierungen übersät, sodass man bei einigen Kobolden die dunkelgraue Haut gar nicht sah. Über zotteligen Mähnen trugen viele von ihnen barbarische Helme, die aus den Oberkiefern und Schädelknochen von Eichhörnchen, kleinen Vögeln oder Mäusen gefertigt waren. Andere wiederum saßen auf abgerichteten Kaninchen oder Hamstern, die ein primitives Geschirr auf den pelzigen Rücken trugen, während sich ihre Reiter in Knochenrüstungen hüllten und mit langen, gelbweißen Knochenlanzen ausstaffiert waren. Die zahlreichen Fußsoldaten des Heeres waren indessen zumeist mit wüst gezackten Knochenschwertern, klobigen Steinäxten und hölzernen Speeren mit Feuersteinspitzen bewaffnet.
Es war ein skurriler Anblick.
Trotzdem wusste Lorn, dass man die Bedrohung, die das Heer allein durch seine Zahl darstellte, ernst nehmen musste.
Ihre Überzahl machte die kleinwüchsigen Wilden aus dem Wald zu einer echten Gefahr. Nicht nur, weil im Schein der Abendsonne auf vielen der Knochenwaffen Gift glitzerte, das die Kobolde wahrscheinlich Fröschen oder Schlangen abgenommen hatten. Auch so konnte ein zielsicher geworfener Speer im Auge verheerende Folgen haben. Oder ein Schnitt durch die Sehnen am Bein: war man erst einmal zu Boden gegangen, spielte die Größe keine Rolle mehr. Zehn kleine Klingen vermochten genauso viel Schaden anzurichten wie ein einzelnes von Menschenhand geführtes Breitschwert.
Die Mienen unter den filzigen
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