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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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machte mich auf den Weg zur Tür, wobei ich einige ungeöffnete Farbeimer und Kartons umrunden musste. Unser Revier wurde gerade einer Generalüberholung unterzogen, die bei uns und den hohen Tieren, mit denen wir uns das oberste Stockwerk teilten, anfing und sich von hier nach unten vorarbeitete, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, zuerst zu den Büros der Kriminalpolizei und der Spurensicherung, von dort zu den Dienstzimmern der einfachen Polizisten, zu Kantine, Küche und Lagerräumen und schließlich zu den Arrestzellen im Untergeschoss. Eines Tages würde auch das Urgestein der Wache, Sergeant Stan (ich war mir nie ganz sicher, ob das sein Vor- oder Nachname war), sein unterirdisches Reich zwischen den Regalen und Kisten der Asservatenkammer räumen und blinzelnd eine neue Welt betreten müssen, in der Energiesparlampen und ergonomisch geformte Schreibtische und Stühle das Bild beherrschten.
    Bei uns in der Pressestelle beschränkte sich die Umgestaltung im Wesentlichen auf ein bisschen Wandfarbe, ein paar neue Jalousien und »moderne Aufbewahrungslösungen«, wie es die dicke Paula aus der Verwaltung hochtrabend genannt hatte. Jetzt stand sie in der Tür und ließ ihren Blick missbilligend über die feueranfälligen Stapel mit Zeitungen und Polizeipublikationen schweifen, die bei uns überall herumlagen. Sämtliche verfügbaren Flächen auf den Schreibtischen und in unserer kleinen Besprechungsecke waren mit Unterlagen bedeckt. Zwei Mitarbeiter von der Abteilung für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz hantierten mit Maßbändern und notierten stirnrunzelnd Zahlen auf ihren Klemmbrettern.
    Erstaunlich, wie schnell das Alltagsgeschäft und die tägliche Bürokratie wieder die Führung übernehmen, wie schnell alles andere in den Hintergrund gerät, wenn man eilige Pressemeldungen herausgeben und wieder einmal ein Gespräch mit der dicken Paula über das ordnungsgemäße Abmelden vom Arbeitsplatz führen muss. Zum x-ten Mal erklärte ich ihr geduldig, dass ich als Pressereferentin nicht die Zeit hatte, mich jedes Mal ins Abwesenheitsbuch einzutragen, wenn ich für ein paar Minuten das Büro verließ, zum Beispiel um für eine eilige Pressemitteilung einen Kommentar von der Kripo einzuholen.
    Mein Wochenende im Watch-House kam mir schon jetzt wie eine kleine, in weiter Ferne liegende Flucht vor, ein kurzes Abweichen vom normalen Kurs. Ich hatte alles, was dort passiert war, tief in mein Unterbewusstsein zurückgedrängt, hatte es mit Klebeband zusammengebunden und verstaut wie ein verloren gegangenes Gepäckstück, das jemand ganz anderem gehörte. Die Realität hatte mich wieder fest im Griff, und mein Leben ging seinen normalen Gang. Na ja, fast normal. Ich reagierte ungewöhnlich sensibel auf meine Umgebung. Der Farbgeruch, der im Raum hing, verursachte leichte Übelkeit, und eine gelangweilte Gesamtschülerin, die gerade ein Praktikum bei uns machte, brachte mich mit ihrem schrillen Geschwätz über Gossip Girl völlig aus dem Konzept und lenkte mich von der Arbeit ab.
    Da Nige mich darum gebeten hatte, schlenderte ich zur Terrorismus-Sitzung hinunter, die in einem großen Besprechungsraum im ersten Stock stattfand, den wir »Kommandozentrale« nannten, auch bekannt als »Kellys Reich«, weil Chief Superintendent Kelly Cavendish hier gerne und häufig sein Kommandoteam versammelte (zu dem sämtliche ranghöheren Polizeibeamten des Bezirks gehörten). Obwohl er einen weiblich klingenden Vornamen und einen lächerlichen Regimentsschnurrbart trug, forderte er von seinen Untergebenen den vollsten Respekt und spielte sich gerne als Aufseher auf. Dann erteilte er mit dröhnender Stimme Befehle oder richtete mit seinem deftigen Yorkshire-Akzent ausschweifende Motivationsreden an seine Mannschaft.
    »Kellys Reich« war mit hochmodernen Monitoren ausgestattet, die Videokonferenzen mit dem Polizeipräsidium und anderen Revieren ermöglichten. Cavendish war bereits vor Ort und diskutierte mit einem Mitarbeiter aus der Buchhaltung, der ungeschickt auf der Fernbedienung herumdrückte und versuchte, die Monitore einzuschalten.
    »Jen!«, rief Cavendish. »Wissen Sie, wie dieses verdammte Ding funktioniert? Wir wollen eine Verbindung zum Präsidium herstellen, und Steve und ich sind absolute Technikbanausen.«
    »Normalerweise richtet Behnaz die Schaltung ein, aber ich kann es gerne versuchen, Chef.«
    »Nein, schon gut. Aber würden Sie mir einen Gefallen tun? Flitzen Sie doch bitte zur Kriminalpolizei

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