Der Preis des Schweigens
handelte. Das Überraschende an dem Foto war, dass darauf nicht Justin, sondern sein Kumpel Pootle zu sehen war.
Ich war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Justin »Paul Mathry« war, weil den Mathrys der Wohnwagen gehörte und weil ich Justin mit Suzy auf dem Foto gesehen hatte, das ich dort gefunden hatte. Daraus, dass Justin für mich »Paul« war, hatte ich wiederum geschlossen, dass er und Suzy ein Paar gewesen waren. War es in Wirklichkeit Pootle gewesen, der all die Fotos der windzerzausten Suzy geschossen hatte? Es war nicht mein Baby , hatte Justin gesagt, als ich ihn auf Suzys Schwangerschaft angesprochen hatte. Hatte er ausnahmsweise die Wahrheit gesagt?
Während Bodie neben meinem Schreibtisch wartete, machte ich mich an die Arbeit, scannte das Foto ein und schnitt Suzy digital aus dem Bild heraus, damit es an Jack NewsBeatWales und die anderen Pressevertreter verschickt werden konnte. Bodie gab sich unterdessen die größte Mühe, Serian auf die Nerven zu gehen.
»Hat dieser Paul ein Auto? Eine Kreditkarte?«, fragte ich nach ein paar Minuten und ging damit die üblichen Fragen für Vermisstenmeldungen durch.
»Na ja, wir haben den alten Campingbus, den er laut seinem Vater fährt, ein paar Straßen vom Haus der Mathrys entfernt gefunden. Ordnungsgemäß geparkt und abgeschlossen, alles normal. Keine Anzeichen für Schäden oder andere verdächtige Umstände. Eine Kreditkarte hatte er nicht. Hat mehr oder weniger von der Hand in den Mund gelebt, und vom Geld seiner Eltern.«
»Dürfen wir die Mathrys zitieren, wenn wir um die Mithilfe der Bevölkerung bitten? Damit es ein bisschen ergreifender und persönlicher wird?«, stellte ich meine gewohnte Frage.
»Das ist, glaube ich, keine gute Idee. Ich könnte natürlich fragen, aber ich hatte den Eindruck, dass Paul nicht gerade Mummys und Daddys Augenstern ist. Muss wohl in der Vergangenheit familiäre Probleme gegeben haben. Die Mathrys sind ein ganz normales, nettes Ehepaar, aber das schützt anscheinend auch nicht vor missratenen Kindern.«
Als Nächstes kam ich auf die Frage zu sprechen, die mich am meisten interessierte. »Wissen wir, wer der Freund ist, der mit nach Australien reisen sollte?« Ich achtete darauf, möglichst beiläufig zu klingen.
»Nein, in der Buchung stand nur ›Paul Mathry plus Begleitung‹. Das zweite Ticket wäre erst nach vollem Ausgleich der Rechnung personalisiert worden. Aber wir können natürlich einen Aufruf nach dem Reisebegleiter starten. Vielleicht meldet er sich ja, aber ich bezweifle es. Wahrscheinlich auch ein Drogensüchtiger. Schreib einfach meine üblichen Zitate in die Vermisstenanzeige, Jen. Machst du das? Bei dir klinge ich immer so schön sachlich und gleichzeitig besorgt.«
»Wird erledigt«, versprach ich.
Ich schrieb also die Vermisstenanzeige, indem ich die Informationen, die ich gerade erhalten hatte, zusammenfasste und aufbereitete und ein paar Kommentare von Bodie erfand. Dann stellte ich den Aufruf zusammen mit Pauls Foto auf den Presseserver. Nach kurzem Zögern nahm ich das Originalfoto und heftete es in meinem »Totenbuch« ab.
In den darauffolgenden Tagen dachte ich oft an meinen Anruf bei Sophie zurück, und auch heute noch gehe ich manchmal die Informationen, die ich ihr gegeben habe, und den genauen Wortlaut meines Auftrags in Gedanken durch. Dann frage ich mich, wen sich Vitali im Frühjahr vorgeknöpft hat, um mir mein Hochzeitsgeschenk zu besorgen, wessen Finger es waren, die in der Schachtel mit der rosa Schleife lagen, bevor ich sie verbrannt habe.
Ich hatte mir meine Freiheit zurückgewünscht, hatte mir gewünscht, dass mein Problem aus meinem Leben verschwand. Wie das genau erledigt werden sollte, hatte ich nicht präzisiert. Sophie und ihre Familie hatten mit solchen Dingen viel mehr Erfahrung als ich. Alles, was ich Sophie gegeben hatte, war ein Name, ein einziger Name, sowie Namen und Adresse der Eltern.
Aber Vitali hatte etwas von einer Unterbrechung gesagt, von einem »Kollateralschaden«. Er hatte angedeutet, dass er gezwungen gewesen war zu improvisieren, und ich ging davon aus, dass er sich um alle unvorhergesehenen Eventualitäten gekümmert hatte. Das Endergebnis war in jedem Fall so, wie ich es mir gewünscht hatte. Ich erhielt von Justin keine Textnachrichten, E-Mails oder Drohungen mehr. Mein Problem war aus meinem Leben gelöscht.
Alle anderen offenen Fragen blieben unbeantwortet. Niemand wurde für die Brandstiftung im Wohnwagenpark von Aberthin
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