Der Preis des Schweigens
den Boden hämmerten, das kontrollierte Ein- und Ausatmen, das gesteigerte Tempo, sobald meine Muskeln aufgewärmt waren, die Ausdehnung der Lunge, die sich mit Luft füllte, der fließende Schweiß – das alles war für mich der perfekte Abschluss eines Tages. Damit ließ sich der Lärm wegspülen, die klingelnden Telefone, die schrillen Forderungen der Journalisten, das Knistern des Polizeifunks, die Wörter, die aus den Mündern meiner Kollegen sprudelten und in Telefonhörern verschwanden, das Klappern der Tastaturen, das endlose Klicken und Quasseln und Knattern. Von all diesen Dingen reinigte ich meinen Kopf, indem ich mich körperlich verausgabte, mit jedem Schritt wurde es stiller und leerer darin.
Sobald diese Leere hergestellt war, konnte ich ungestört nachdenken.
Nachdem Dan um meine Hand angehalten hatte, war ich laufen gegangen, bevor ich seinen Antrag annahm.
Auch als ich aus dem Watch-House zurückgekommen war und zum zweiten Mal mit Sophie gesprochen hatte, war ich joggen gegangen. Keine zweiundsiebzig Stunden davor hatte ich mit Justin im Bett gelegen, aber mein schlechtes Gewissen hatte sich in Grenzen gehalten. Wenn Dan mich nicht angelogen hätte, wenn ich nicht durch Sophies Anruf von seinem unsäglichen Betrug erfahren hätte, wäre das alles gar nicht erst passiert.
Ich war gerannt und gerannt und hatte mir vorgestellt, wie Sophie im Takt meiner Füße immer kleiner und kleiner wurde und schließlich mit einem Knall aus meinem Kopf verschwand, wie sie noch einmal kurz aufleuchtete wie ein sterbender Stern und dann blinkend ihr Leben aushauchte und in Vergessenheit geriet. Bald würde der Moment kommen, in dem Dan mir gegenüber sein Ehegelübde ablegte, in dem er mir sagte, dass er mich über alles liebte und nur mit mir zusammen sein wollte. Was kümmerte mich da eine Sophie!
Justin war zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgetaucht in meiner Rechnung, denn er hatte bereits der Vergangenheit angehört.
Als ich nach Sophies Anruf joggen gegangen war, war unser Hochzeitstermin noch acht Monate entfernt gewesen. Es war mir vorgekommen wie eine sehr lange Zeit.
Drei Monate später rannte ich immer noch, aber jetzt waren es nur noch fünf Monate bis zur Hochzeit, und alles war anders.
Ich versuchte krampfhaft, den Kopf freizubekommen und mich an der Winterlandschaft zu erfreuen, die sich vor mir erstreckte, am glitzernden Schnee, der über Nacht gefallen war und den Boden makellos weiß gefärbt hatte, am knallblauen Himmel. Ich rannte an den Sportplätzen vorbei, um den Pfad zu erreichen, der am Fluss entlangführte. Alles war wunderbar ruhig und gedämpft, wie in Watte gepackt. Der Tag war bereits in die weichen Farben des nahenden Sonnenuntergangs getaucht, und während ich quer über das Rugbyfeld rannte und anschließend im Wald verschwand, war ich entzückt von dem Knirschen meiner Füße im unberührten Schnee. Ich dachte an das Gedicht »Rast am Wald an einem verschneiten Tag« von Robert Frost. Darin geht es um einen Reiter, der gerne länger in den tief verschneiten Wäldern verweilen würde, aber ein Versprechen einhalten und seine Reise zu Ende bringen muss, bevor er schlafen darf. Das Gedicht ist eine Metapher auf die Reise des Lebens und letztlich auch auf den Tod, der an ihrem Ende steht. Mir fiel ein, dass ich im Watch-House einen Gedichtband von Robert Frost dabeigehabt hatte und dass Justin diesen Umstand kommentiert hatte. »›Der unbegangene Weg‹. Mein Lieblingsgedicht«, hatte er gesagt. »Ich habe ebenfalls versucht, einen ungewöhnlichen Weg einzuschlagen. Aber irgendwann bin ich dann doch wieder in Gower gelandet.«
In Gedanken sah ich Justins Gesicht vor mir und stellte mir vor, wie ich es unter meinen Schuhen zermalmte, wie ich es zu Brei zerstampfte. Zuerst würden seine Knochen brechen, und dann würde das Blut aus seiner zertrümmerten Nase schießen. Er würde wimmernde Geräusche von sich geben und mit den Armen um sich schlagen, während ich weiter auf ihn eintrat, auch nachdem sein Mund längst nur noch eine blutige Masse war, in der einzelne Zähne schwammen.
Meine Lunge füllte sich mit kalter, frischer Luft, und ich stieß einen Teil des krankmachenden Hasses hervor, der seit meinem Ausflug nach Porthcawl und meiner Fahrt zum Flughafen in meinem Inneren getobt hatte. Während die Kilometer unter meinen Füßen dahinflogen, dachte ich darüber nach, wie es weitergehen sollte.
Bisher hatte mein Erspartes für die beiden Zahlungen gereicht. Es war zwar
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