Der Preis des Schweigens
die Weise deine perversen Kicks?«
Seine Reaktion war genau so wie erwartet. »Ich weiß nicht, wovon du redest. Welches Geld?«
»Du hast mir also keine Kopien von dem netten kleinen Video geschickt, auf dem wir zu sehen sind, wie wir …« Ich wollte Liebe machen sagen, weil ich es so nannte, wenn Dan und ich miteinander schliefen, aber diese Vokabel traf es hier wohl kaum. » … ficken« , beendete ich den Satz und spie das Wort mit dem ganzen Abscheu aus, den Justin inzwischen in mir auslöste.
»Wovon redest du, bitte?«
»Von den fast zweiminütigen Highlights unserer gemeinsamen Nacht, die auf meinem E-Mail-Account eingetroffen sind. Bei der Arbeit .«
»Davon weiß ich nichts, keine Ahnung, wovon du sprichst.« Aber er wirkte nicht besonders aufgebracht über meine Anschuldigung. Noch viel aufschlussreicher war die Tatsache, dass er mich nicht über das Video auszufragen versuchte. Die meisten Männer an seiner Stelle wären ein bisschen beunruhigt gewesen, wenn sie erfahren hätten, dass ein Video von ihnen kursierte. Vorausgesetzt sie waren unschuldig. Jeder, der tatsächlich nicht wusste, wovon ich sprach, hätte gefragt: Was, welches Video? Oder: O Gott, jemand hat uns gefilmt?!
Auch Justin schien jetzt aufzugehen, dass er sich verkalkuliert hatte, denn er sagte: »Hör mal, es tut mir wirklich leid, dass das mit uns nichts geworden ist, Jen, aber so ist es nun mal. Ich muss jetzt los.«
»Ich zahle dir kein Geld mehr«, sagte ich bestimmt und kämpfte gegen die Tränen an, die mir wieder in die Augen stiegen.
»Wie gesagt: Ich weiß von keinem Geld«, erwiderte er mit nervtötender Ruhe.
»Du weißt schon: das Geld, das du von mir erpresst hast, du verlogenes, nichtsnutziges Arschloch !«
Das letzte Wort stieß ich so heftig hervor, dass es wie ein Peitschenhieb durch die Luft knallte. An Justins Augen, die sich kaum wahrnehmbar verengten, erkannte ich, dass der Hieb gesessen hatte. Er wich leicht zurück und war dabei, den Rückzug anzutreten. Aber ich konnte ihn nicht einfach so davonkommen lassen, nicht nach allem, was ich auf mich genommen hatte, um ihn zu finden.
»Ich habe Dan von meinem Ausrutscher erzählt«, sagte ich ausdruckslos. »Es ist vorbei. Die Polizei klopft demnächst an deine Tür, darauf kannst du dich verlassen.«
Justin lehnte sein Surfbrett gegen den Bus, sammelte sich kurz und trat dann scheinbar unbekümmert an mich heran.
»Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest, Süße. Ich glaube, du brauchst professionelle Hilfe«, sagte er, und sein Gesicht spiegelte fast perfekt Sorge und Anteilnahme wider. Er legte mir die Hand auf den Arm, als wollte er mich trösten, und drückte dann so fest zu, dass ich vor Schmerz zusammenzuckte. Bei alldem hörte er keine Sekunde auf zu lächeln.
»Allerdings hört sich dieses Video für mich so an, als würde man es gern vor seinen Mitmenschen geheim halten. Es wäre doch wirklich ärgerlich, wenn dein Verlobter so etwas sehen würde, oder deine netten Kollegen! Du könntest natürlich zur Polizei gehen, aber das wäre doch ziemlich peinlich, findest du nicht? Jeder würde deine kleine Hauptrolle sehen, deine oscarreife Darbietung. Nein, wenn ich du wäre, würde ich nichts überstürzen. Wer so etwas tut, scheint mir ein Mensch zu sein, mit dem man sich besser nicht anlegt.«
Er drückte noch einmal fester zu, wie um seinen letzten Satz zu unterstreichen, und beugte sich dann lächelnd vor, um mich auf die Schläfe zu küssen, bevor er meinen Arm losließ.
Wenn uns jemand beobachtet hätte, hätte er zwei alte Freunde gesehen, die freundlich miteinander geplaudert hatten und sich nun herzlich verabschiedeten.
»War mir ein Vergnügen«, fügte er hinzu, und sein Lächeln wurde noch breiter, aber seine Augen lachten nicht mit, sondern brannten wie Nadelstiche.
Er nahm sein Brett wieder hoch und schob es durch die Heckklappe in den Bus. Dann stieg er ein und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Noch lange nachdem die Rücklichter seines Busses verschwunden waren, stand ich auf der Straße und starrte ihm hinterher, während mir der Regen von den Haaren und Wimpern tropfte.
Jetzt wusste ich, mit was für einem Menschen ich es zu tun hatte. Daran bestand kein Zweifel mehr. Vielleicht war ihm gar nicht aufgefallen, dass er die exakte Formulierung aus seiner SMS wiederholt hatte: »Oscarreife Darbietung.« Falls ich noch einen letzten Beweis dafür gebraucht hätte, dass Justin der Erpresser war, hätte ich ihn hiermit
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