Der Preis des Verrats (German Edition)
Marmor und Glas, fest entschlossen, ein wenig Sonne zu tanken.
Da sah sie den Mann erneut.
Er stand auf der anderen Straßenseite, die Hände hatte er in den Taschen seiner zerknitterten Hose vergraben. Seine Gesichtszüge waren verhärmt, und er schaute sie durchdringend an. Ein Geschäftsmann lief auf dem Bürgersteig in ihn hinein, aber er wandte seinen starren Blick nicht ab. Einen Herzschlag lang trafen sich ihre Blicke, bis ein Metrobus vor dem Gebäude vorfuhr und ihr die Sicht nahm. Als der Bus eine kurze Zeit später in einer Wolke aus schwarzem Dunst wieder davonfuhr, war der Mann verschwunden.
Verwirrt suchte sie die geschäftige Straße nach ihm ab. Aber es war, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Hatte sie ihn schließlich doch erkannt? Irgendetwas wollte sich in ihrem Hinterkopf bemerkbar machen. Im Geiste ging sie sämtliche Bekannte und Kontakte durch, bis ihr Handy klingelte. Sie grub es aus ihrer Tasche und nahm ab. Sicher war es Sophie.
„Caitlyn, hier ist Reid. Ich rufe nur an, um mich nach dir zu erkundigen. Ist alles in Ordnung?“
Einige Tage waren seit dem Vorfall mit Manny Ruiz auf dem Hof vergangen.
„Mir geht es gut.“ Sie fegte ein paar Haarsträhnen fort, die der kühle Wind über ihr Gesicht geweht hatte. „Ich bin, genau genommen, für ein paar Tage geschäftlich im District. Ich wohne im Montier.“
„Wo bist du jetzt?“
Caitlyn blinzelte gegen das helle Sonnenlicht. „In der 17th Street vor dem Habersham Building. Ich bereite mich auf eine lange und wahrscheinlich sehr langweilige Vorstandssitzung vor.“
Ein Schweigen entstand in der Leitung, und für eine Sekunde dachte Caitlyn, die Verbindung wäre unterbrochen worden. Aber dann sprach Reid wieder. „Gehst du heute Abend mit mir essen, Caitlyn? Es tut mir sehr leid, wie das alles neulich abgelaufen ist. Ich könnte beim Hotel vorbeikommen und dich abholen.“
Die Einladung überraschte sie. Caitlyn beobachtete, wie ein junges Paar vorbeischlenderte, sie lachten und hielten Händchen. „Sehr gerne.“
„Soll ich dich dann um sieben abholen?“
Sobald sie sich auf eine Uhrzeit geeinigt hatten, klappte Caitlyn das Telefon zu. Das ist kein Date, sagte sie zu sich. Er macht sich einfach nur Sorgen um mich . Dennoch, Reid war ganz und gar nicht verpflichtet, sie zum Dinner auszuführen. Soweit sie wusste, wollte er ihr nur ein paar weitere Tatortfotos zeigen oder wieder mit ihr über Manny sprechen. Aber es hatte nicht nach einem dienstlichen Treffen geklungen.
Es hatte so geklungen, als ob ein Mann eine Frau um ein Rendezvous bat.
„Ihr habt Joshua besucht?“ Caitlyn legte ihre Gabel am Tellerrand ab. Sie saßen im Agava , einem gemütlichen griechischenRestaurant in der Nähe der K Street, das vom Montier Hotel bequem zu Fuß zu erreichen war. Reid hatte sie in der Hotellobby abgeholt. Er trug ein Sakko, Kakihosen und ein tiefblaues Hemd.
„Agent Tierney wollte ihn fragen, ob er vielleicht irgendetwas über den Nachahmungstäter weiß“, erklärte er. „Ich bin mit ihm gegangen, um Joshuas Reaktionen zu analysieren.“
Ein kleiner Knoten formte sich in ihrem Magen. „Was habt ihr herausgefunden?“
„Nicht viel. Tierney hat ihn provoziert. Er hat versucht, ihn dazu zu bringen, dass er damit prahlt, Mentor des zweiten Killers zu sein. Aber Joshua hat nicht angebissen.“
Caitlyn konnte nicht umhin, sich zu fragen, wie es ihrem Bruder in einem Hochsicherheitsgefängnis erging – ob die Psychiater oder die Medikamente ihm halfen, seine gewalttätigen Impulse zu kontrollieren. „Ich könnte mir vorstellen, dass Agent Tierney reichlich … einschüchternd ist.“
„Das ist eine Untertreibung.“ Reid lächelte leicht und trank einen Schluck Wasser, bevor er seinen letzten Bissen paidakia , ein gegrilltes Lammkotelett, aß. Nun hatten sie sich doch noch über die Ermittlungen unterhalten. Bis eben hatten sie hauptsächlich über andere Dinge gesprochen – über die Wohlfahrtsorganisation, deretwegen Caitlyn in der Stadt war, und über das Reittherapieprogramm von Rambling Rose. Caitlyn hatte ihm ihre Sorge gestanden, dass Mannys Weggang den reibungslosen Betrieb auf der Farm gefährdete. Manny hatte die gesamten betrieblichen Belange beaufsichtigt und hinterließ eine große Lücke, die sie nicht leicht würde füllen können. Sie hatte bereits eine Anzeige im Lokalblatt von Middleburg aufgegeben.
„Reitest du?“, fragte Caitlyn, nachdem der Kellner ihre Teller abgetragen und ihnen einen kurzen
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