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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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dem Abend keiner dort unterwegs gewesen.«
    »Nein, genau das meine ich ja. Es hat etwas mit dem zu tun, was ich heute aufgedeckt habe. Bisher ist es nur so ein Gefühl, doch wenn Sie mir ein paar Minuten Zeit geben …«

14
    Der Anruf kam gegen 2:15 Uhr. Ihr Handy trillerte auf dem Nachttisch, bohrte sich in einen Traum, dessen Inhalt sie sofort vergessen hatte.
    »Wenn Sie was Interessantes sehen wollen, kommen Sie in den Phoenix Park. Zum Furry Glen. Und zwar schnell, Baby«, wies sie die Stimme an.
    Die Stimme war verzerrt wie immer, aber dennoch sofort als ihre schwer fassbare Quelle zu erkennen. Eine zehnsekündige Anweisung, die durch ihren Schlaf glitt wie ein Schlachtermesser durch ein Stück Fleisch, dann klickte es, und in der Leitung war es still. Siobhan war auf der Stelle wach, wühlte in der Dunkelheit nach ihrer Jeans, aus der sie sich erst vor vier Stunden herausgeschält hatte. Sie wollte unbedingt wissen, was da los war, konnte es kaum erwarten, zum Phoenix Park zu kommen und es herauszufinden. Sie machte sich nicht einmal schnell einen Kaffee. Für den Fall, dass sie später noch einen Kick brauchte, hatte sie eine Dose Red Bull im Wagen. Im Moment reichte ihr das Adrenalin vollkommen, das mit dem Blut durch ihren Körper gepumpt wurde.
    Sie sprang hinters Lenkrad und dröhnte die Rampe aus der Tiefgarage hinauf, ohne sich darum zu kümmern, ob in den Wohnungen über ihr jemand schlief. In Gedanken war sie längst am Ziel, wägte ab, welche Möglichkeiten sie dort hatte, ging diverse Varianten durch. Warum das Furry Glen? Bei Tag war es ein überschätztes Ausflugsziel im Phoenix Park. Nachts machten die ruhigen, buschigen Parkwege es zu einem der beliebtesten Treffpunkte schwuler Männer. Hatte der Priester die Seiten gewechselt? War er dieses Mal womöglich auf einen Mann losgegangen?
    Sie bremste leicht ab, als sie an die Ampel unten an der Grand Canal Street kam, dann trat sie aufs Gas und raste bei Rot über die Brücke. Ihre Quelle hätte sie nicht angerufen, wenn die Polizei nicht davon ausgehen würde, dass es etwas mit dem Priester zu tun hatte. Wahrscheinlich war sie schon dort. Und das, was die Garda dort interessierte, könnte auch noch da sein. Eine Leiche vielleicht?
    Sie fuhr weiter durch die ruhigen Stadtstraßen, nahm den Fuß nur die wenigen Male etwas vom Gas, in denen sie ein anderes Fahrzeug sah. Wenige Sekunden nachdem sie den Fluss überquert hatte und in den Park hineingefahren war, sah sie, dass es sich um eine große Sache handelte. Die Einfahrt zur Wellington Road, die sich ein paar Kilometer am südlichen Rand des Parks bis zum Furry Glen entlangschlängelte, war von einem Streifenwagen blockiert, dessen Blaulicht in der Nacht blinkte. Sie fuhr weiter bis zur Chesterfield Avenue, der Hauptstraße, die den Park in zwei Hälften teilt. Die war jedoch auf die gleiche Art gesperrt, was auch für die nächste Zufahrt galt. Auf sämtlichen Seitenstraßen waren Streifenwagen postiert. Sie hatte inzwischen begriffen, dass der Versuch, mit dem Auto näher an die Senke heranzukommen, zum Scheitern verurteilt war, also parkte sie auf dem Rasenstreifen im Schatten eines Dickichts und schaltete den Motor aus.
    Von hier war es eine zwanzigminütige Wanderung über flache Rasenflächen und durch feuchtes, dichtes Gehölz bis zum Glen. Sie wusste nicht genau, wie sie es bis dahin schaffte, jedenfalls dankte sie Gott für den Vollmond und sich selbst, weil sie so vernünftig gewesen war, ihre Turnschuhe anzuziehen statt der Schläppchen, in denen sie gestern unterwegs gewesen war. Die Handtasche, die an ihrem Arm baumelte, kam ihr allerdings etwas befremdlich vor. Aber zum Umkehren war es zu spät. Sie näherte sich schon ihrem Ziel, das aus der Ferne durch das charakteristische Aufblitzen von Suchscheinwerfern zu erkennen war, die einen Baldachin aus Lichtstrahlen bildeten. Als sie endlich die Upper Glen Road erreichte, sah sie zwei weitere Streifenwagen auf der Zufahrtsstraße zum Furry Glen stehen – sie waren aber mindestens hundert Meter voneinander entfernt. Offenbar hatte um diese Zeit niemand einen Gedanken daran verschwendet, den Ort auch für Fußgänger abzusperren.
    Sie schlich unbemerkt zwischen ihnen hindurch, verschwand im Schatten der Bäume und schaffte es so bis zum Rand einer steil abfallenden Senke, die mit ihren etwa zehn Metern fast ebenso tief zu sein schien, wie sie breit war. Sie lehnte sich an die raue Rinde eines Baumes und inspizierte die Szenerie unter

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