Der Priester
»Taxifahrer? Ich? Sie müssen mich mit jemandem verwechseln, Inspector. Oder einer Ihrer Kollegen hat Ihnen einen Streich gespielt. Wo steht das? Zeigen Sie mal.«
Mulcahy schlug die Akte auf und prüfte die Aussagen. Aber dort, in dem Feld für die Berufsangabe, stand tatsächlich Taxifahrer. Er zeigte es Rinn und deutete auf seine Unterschrift am unteren Seitenrand.
»Tut mir leid, Inspector, aber da muss jemandem beim Abtippen ein Fehler unterlaufen sein. Wenn es mir damals aufgefallen wäre, hätte ich es natürlich nicht unterschrieben. Aber Sie werden sicher bemerken, dass es in meiner Aussage nirgends einen Hinweis auf eine solche Tätigkeit gibt. Das ist ausgeschlossen. Ich habe sie damals gründlich durchgelesen.«
Mulcahy überflog die eigentliche Aussage und musste Rinn recht geben – darin wurde kein Taxi erwähnt, nur ein Auto. Wie konnte er das übersehen? Irgendwie musste der Garda, der die Aussage aufgenommen hatte, falsche Personalangaben eingetragen haben. Und dadurch war Mulcahy einer vollkommen falschen Spur gefolgt. Und mehr noch, er kam sich vor Rinn wie ein absoluter Trottel vor.
Mulcahy stand auf, entschuldigte sich bei Rinn für die Störung und machte sich auf den Weg zur Tür, als sein Blick an einem kleinen, leuchtenden Gemälde an der Wand hängen blieb: Vor einer üppigen Küstenlandschaft pflügte ein Segelboot durch blaugrünes Wasser. Es erinnerte ihn so sehr an die Segeltörns mit seinem Vater in den Sommerferien in Cork, dass er stehen bleiben und es ansehen musste. Irgendwie war es dem Maler gelungen, die ganze Freude am Segeln in einer einzigen Szene einzufangen.
»Was für ein schönes Gemälde.« Mulcahy beugte sich näher heran und las das kleine, im Rahmen eingelassene Messingschild: » Gweedore im Sommer« von Padraig Rinn.
»Ja, mein Großvater war ein talentierter Hobbymaler«, sagte Rinn.
»Sieht so aus.« Mulcahys Augen waren immer noch vom Wirbel aus blauen und grünen Farben auf der Leinwand gefangen, trotzdem spürte er, wie Rinns Stimmung von einem Moment auf den anderen umschlug.
»Das ist so sommerlich«, sagte Mulcahy. »Man spürt förmlich, wie die Sonnenstrahlen vom Wasser reflektiert werden.«
»So ist es.« Rinn schien sich extrem unwohl zu fühlen und fummelte am Kragen seines Pullovers herum, der für einen Tag wie diesen viel zu warm war. Ganz kurz nur erhaschte Mulcahy dabei einen Blick auf eine ungewöhnliche Narbe aus dunkler, gekräuselter Haut an seinem Hals, und er dachte daran, wie Brennan ihm erzählt hatte, dass Rinn bei dem Unfall seiner Eltern schwere Verletzungen davongetragen hatte. Das erklärte zumindest den Rollkragenpullover. Dann fiel es ihm wieder ein – Brennan hatte auch etwas von Gweedore gesagt – da sollte irgendetwas vorgefallen sein.
»Gweedore?«, sagte Mulcahy und sah Rinn in die Augen. »Das ist doch oben in Donegal, oder?«
»Das stimmt«, erwiderte Rinn leicht gepresst.
»Haben Sie da Verwandte?«
»Mein Großvater ist da aufgewachsen. Er ist mit uns jedes Jahr in den Gerichtsferien einen Monat da raufgefahren. Es gibt dort schöne Strände, an denen man schwimmen gehen kann, und Ruderboote zum Angeln. Außerdem war er ein leidenschaftlicher Segler.«
»Das sieht man«, sagte Mulcahy, in dessen Ohren Rinns Tonfall nicht unbedingt leidenschaftlich klang. »Wenn ich das richtig verstehe, fahren Sie da aber nicht sehr oft hin?«
»Nein«, sagte Rinn. »Ich bin seit Jahren nicht mehr da gewesen. Warum fragen Sie?«
Wieder spürte er die Anspannung, die von Rinn ausging.
»Nur so«, sagte Mulcahy. Eine seltsame Reaktion. Was um alles in der Welt versuchte Rinn zu verheimlichen? Ging es vielleicht um den Großvater?
»Ist er das?«, fragte Mulcahy und deutete auf ein altes Foto in einem Glasrahmen auf dem Kamin. Es war das Porträtfoto eines mürrisch dreinblickenden Mannes mit nach hinten gekämmten Haaren, einer fleischigen Nase und einer dicken Schildpattbrille. Seine Miene wirkte so steif und unnachgiebig wie der gestärkte Hemdkragen, der sich in seinen Hals drückte. Daneben stand ein weiteres Foto, das von Hand in gedeckten Farben retuschiert worden war, auf dem eine Gruppe junger Männer in grünen Uniformen in Habtachtstellung standen. Mulcahy sah, dass der Mann in der Mitte derselbe war wie der auf dem Porträt – er war jünger, trug aber dieselbe, dicke Brille und eine goldene Amtskette um den Hals. Im Hintergrund hing ein langes, weißes Spruchband mit der Aufschrift: Internationaler
Weitere Kostenlose Bücher