Der Priester
Mittag gegessen hatte. Ganz anders war es, wenn sie mit jemandem von der Garda sprach oder auch mit Leuten, die Informationen von der Polizei erhalten hatten. Es waren Gerüchte im Umlauf, was bei der Durchsuchung von Byrnes Wohnung alles aufgetaucht sein sollte. Eine Reporterkollegin von der Irish Independent hatte sich bei Siobhan gemeldet und gesagt, dass dort jede Menge komisches Zeug gefunden worden sei: Kreuze, Kerzen, Ketten und ein großer Stapel Pornos. Angeblich hatte sie es aus erster Hand von einem Polizisten, der an der Wohnungsdurchsuchung beteiligt gewesen war. Außerdem sei alles voller Zeitungsausschnitte über den Priester gewesen: »Wie ein verdammter Schrein«, hatte sie gesagt.
Also rief Siobhan Pater Touhy an und fragte ihn, ob er irgendetwas darüber wüsste.
»Glauben Sie mir, ich bin oft in der Wohnung gewesen, und so etwas gab es da nicht«, widersprach der alte Pfarrer. »Also natürlich hatte er Kreuze, Kerzen und einen kleinen Schrein, aber es war ein Schrein für die Heilige Jungfrau. Er ist ein sehr gläubiger Mann. Da spricht ja wohl nichts dagegen.«
»Und was ist mit den Zeitungsausschnitten über den Priester, die er angeblich gesammelt haben soll?«
»Nein«, wandte der alte Mann ein, »so etwas habe ich bei ihm nie gesehen. Ich weiß allerdings, dass er ein paar Fotos vom Papst und Padre Pio an den Wänden hatte.«
Siobhans Informant aus dem Ermittlungsteam ließ bis vier Uhr nachmittags überhaupt nichts von sich hören, dann rief er an und sagte, dass die Eltern des toten Mädchens informiert worden wären, und gab ihr die Adresse in Dartry. Sie fühlte sich dadurch etwas vor den Kopf gestoßen, raste aber trotzdem sofort rüber. Der erste Reporter war manchmal der Einzige, der überhaupt etwas in die Finger bekam. Den Fehler, die Tür zu öffnen, würden die Eltern kein zweites Mal machen – zumindest nicht, wenn ein Journalist davorstand.
Doch als sie ankam, umzingelte schon eine Horde Presseleute das Haus. Also beschloss sie, ins Büro zurückzufahren. Das reichte erst einmal, und offenbar war Pater Touhy ihrem Rat gefolgt und hatte über Byrnes frühere Festnahme geschwiegen – sonst hätte sie es inzwischen von irgendjemandem gehört. Natürlich bestand immer das Risiko, dass es von einer anderen Seite durchsickerte, zum Beispiel aus dem Ermittlungsteam. Da es aber offenbar noch nicht an die Öffentlichkeit gelangt war, nahm sie an, dass die Polizei beschlossen hatte, diese Information in der Hinterhand zu behalten. Sie würden ein paar Tage abwarten, um zu sehen, was über Byrne sonst noch ans Tageslicht kam, bevor sie zu richtig schmutzigen Tricks griffen. In diesem Fall könnte ihre Titelseite bis Sonntag Bestand haben. Wenn das klappte, würden sie damit alle anderen Zeitungen in den Sack stecken. Die Leute würden ihnen den Herald aus der Hand reißen.
Es war spät geworden, als Mulcahy zum Harcourt Square zurückkam, aber eine fixe Idee hatte sich in ihm festgesetzt, und er wusste genau, dass er sich erst wieder entspannen konnte, wenn er noch ein paar Informationen über Rinn überprüft hatte. Tief im Innersten vermutete er, dass es nur eine Ersatzhandlung dafür war, nach oben zu gehen und Brendan Healy grün und blau zu prügeln. Da das aber nicht in Frage kam, musste er sich auf das stürzen, was er hatte: Rinn. Zuerst versuchte er, den Garda anzurufen, der nach dem Überfall auf Caroline Coyle die Aussage aufgenommen hatte. Der Sergeant im Rathmines teilte ihm jedoch mit, dass der verlangte Kollege seinen Dienst für diese Woche beendet und dann ein paar Tage freihatte. »Geben Sie mir Ihre Nummer, ich sag ihm Bescheid, dass er Sie zurückrufen soll, wenn er wieder da ist«, lautete sein Vorschlag. Die nächsten zwei Stunden verbrachte Mulcahy dann am Computer in Brogans Büro und durchsuchte die Dateien mit den Sexualverbrechern, das Drogenarchiv und sämtliche anderen Datenbanken, die ihm im Netzwerk der Garda Síochána zur Verfügung standen. Bis auf ein kleines Verkehrsdelikt fand er nichts: Vor anderthalb Jahren war Rinn von einer Streife angehalten worden, die ihm eine Geldstrafe wegen eines defekten Scheinwerfers abgenommen hatte.
Mulcahy wusste, dass er mit seiner Suche nicht alles erfassen konnte. Das war ausgeschlossen. Für Dublin und die anderen größeren Städte war das System zwar recht zuverlässig, man konnte allerdings nicht davon ausgehen, dass die entlegenen ländlichen Garda-Reviere ihre Akten mehr als fünf oder sechs Jahre
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