Der Priester
richtete sich aus der gekrümmten Haltung auf, in der er erzählt hatte. Er schwieg zwar, am Glitzern seiner Augen sah Siobhan allerdings, dass er scharf nachdachte.
»Hey, Eamon, sind Sie noch da?«, fragte sie und stupste ihm sanft auf den Arm.
Junge, Junge, und wie er da war! Er war sogar hellwach. Bewusst langsam drehte er sich zu ihr um. Bei seinen folgenden Worten standen ihr die Haare zu Berge.
»Das hat mit diesem Priester zu tun, stimmt’s?«
Wenn sie etwas gegessen oder getrunken hätte, hätte sie sich verschluckt. Aber auch so bedurfte es größter Willensanstrengung, sich nicht zu verraten. Sie holte tief Luft, bevor sie sagte: »Wovon reden Sie, Eamon?«
»Das Kreuz«, sagte er.
»Was für ein Kreuz?«
»Das Kreuz, mit dem er auf sie eingeschlagen hat«, flüsterte Doherty und sah sich prüfend um, ob ihm jemand zuhörte. »Ein großes Eisenkreuz. Es heißt, sie sollen zusammen auf den Friedhof in Gweedore gegangen sein, wo sie sich ins hohe Gras legen wollten. Aber statt sie, na ja, zu umarmen, hat er angefangen, sie mit diesem großen Eisenkreuz zu verprügeln, das er von einem der Gräber genommen hat. Ich habe das immer für eine Legende gehalten, Sie wissen schon, ein Märchen, um den Mädchen Angst einzujagen. Doch das wollten Sie wissen, stimmt’s? Es geht um das Kreuz. Er war es, oder? Der Priester?«
Auf seiner Stirn bildete sich eine Schweißperle, und er fing vor Aufregung fast an zu zittern, als er in ihrem Gesicht nach einer Antwort suchte. Jetzt waren auch ihre Gedanken vor Angst blockiert. Mulcahy hatte wirklich etwas entdeckt. Wie konnte sie nur so dumm sein und die Katze gleich aus dem Sack lassen. Doherty wusste jetzt, was los war. Sie musste das Ganze sofort abwürgen. Ihr musste schnell etwas einfallen. Schneller als ihm jedenfalls. Sie musste ihn zur Ruhe bringen, damit er nicht die gleichen Schlüsse zog wie sie. Wenn er das tat, stand die Story nicht nur in ihrer Zeitung, sondern auch in allen anderen.
»Hey, hey, immer langsam mit den jungen Pferden, Eamon.« Sie lachte auf und dankte Gott, dass er schon halb weggetreten war – das kam ihr gelegen. »Ich glaube, das Bier hat Ihre Fantasie etwas zu sehr angeregt. Ich arbeite nur an ein paar Hintergrundstorys. Also, die Jungs in Blau sind überzeugt, dass sie den Priester geschnappt haben. Ich schreib nur eine Spalte über, na ja, andere seltsame religiöse Verbrechen, die im Lauf der Jahre begangen wurden. Sie wären überrascht, wie dünn gesät die sind. Und das in Irland. Ein Freund von mir hatte etwas von dieser Sache in Gweedore gehört – also wollte ich dem nachgehen und habe Sie angerufen.«
Sie versuchte so herablassend wie nur möglich zu klingen, setzte darauf, dass er sich, trotz seiner Großtuerei, im Vergleich zu ihr für einen Bauerntölpel aus der Provinz hielt. Es schien zu funktionieren.
»Wirklich?« Mit einem Mal klang er nicht mehr so überzeugt.
»Ich fürchte schon.« Wieder lachte sie. »Tut mir leid, wenn ich Sie vielleicht enttäuschen muss, aber soweit ich weiß, gibt es da keine Verbindung. Also, ich weiß ja auch gar nicht, wie der Junge damals hieß. Wissen Sie das? Der, der Helen Martin damals attackiert hat, meine ich. Aber ich würde tausend Euro darauf setzen, dass es nicht Emmet Byrne war, den sie jetzt hier in Gewahrsam genommen haben.«
Das schien ihn zu verwirren. Siobhan sah eine Kellnerin vorbeigehen und rief ihr zu: »Können Sie meinem Freund hier ein schönes Glas Guinness bringen?«
Doherty wirkte jetzt etwas nervös – selbst er musste langsam glauben, dass er betrunken war.
»Ja. Ja, okay. Da könnte was dran sein, Siobhan. Und vielleicht passieren bei uns draußen auch nicht so viele aufregende Dinge.« Mit einem Lachen versuchte er, seine Verlegenheit zu überspielen. »Mit dem Namen haben Sie auch recht.«
»Ja?«
»Also, um ehrlich zu sein, kenne ich den Namen des Jugendlichen gar nicht. Wie Sie wissen, ist es ja nie zu einer Verhandlung gekommen und …«
»Warum ist es denn nicht zu einer Verhandlung gekommen?«
»Oh, der Junge war verwandt mit einem großen Tier aus der Gegend. Zumindest stammte er von da. Sein Großvater war ein hoher Justizbeamter, ein früherer IRA -Junge, der es bis ganz nach oben geschafft hatte.«
» IRA ?«
»Ja, aber wir reden von 1922. Ein Freund von de Valera, wissen Sie? Dem Gründungsvater der Republik. Sie nannten sie die ›Great Ones‹. Eine Gruppe junger Männer aus Donegal, die am Anfang extrem viel Einfluss hatte. Ich
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