Der Priester
überzeugt, dass sie Glück hatte, so gut davongekommen zu sein. Er versuchte, sich vorzustellen, wie Scully von Blackrock runter nach Irishtown fuhr und seinen Zorn an einer Prostituierten ausließ. War es ein Experiment gewesen? Ein Probelauf? Das Ausmaß der Gewalt kam ihm riesig vor. Er merkte kaum, dass er die Brückenmaut bezahlte, so sehr beschäftigten ihn diese Gedanken. Er durfte nicht vergessen, bei den Kollegen von der Sitte noch einmal nachzufragen, ob sich einer von ihnen unten in der Store Street nach weiteren Angriffen auf Prostituierte erkundigt hatte. Trotz Grainne Mullins’ schlechten Erfahrungen mit der Polizei konnte er sich nicht vorstellen, dass einer anderen Prostituierten so etwas unbemerkt widerfahren war. Sie jammerten zwar, wie die Gardaí sie behandelten, aber normalerweise machten sie sofort Rabatz, wenn sich eine von ihnen auf der Straße bedroht fühlte.
Seine Gedanken rasten, als er sich durch den stärkeren Verkehr auf der East Wall Road schlängelte, dann wurde er von allen Seiten wütend angehupt, als er trotz einer roten Ampel in die North Strand bog. Ein paar Minuten später entdeckte er am hinteren Ende der in die Stadt führenden Fahrspur die Kollegen von der Spurensicherung, gegenüber von einer Ladenzeile an der Marino Parade. Ihre Autos und Lieferwagen standen wild durcheinander auf dem Gehsteig und in der Einfahrt zum Fairview Park. Er suchte nach einer Stelle zum Wenden.
Sie waren schon beim Einpacken. Mulcahy fragte nach dem zuständigen Kriminaltechniker und wurde an einen dünnen Mann mit Raubvogelgesicht namens Eddie Keane verwiesen. Er trug den üblichen weißen Overall und starrte intensiv auf den Bildschirm eines kleinen, digitalen Camcorders, den er auf Armeslänge hielt, während er eine Reihe kleiner roter Fahnen an dünnen Metallstäben filmte, die in einem mit blau-weißem Plastikband abgesperrten Gebiet verteilt waren. Die Fläche war ungefähr fünf mal fünf Meter groß und lag direkt hinter dem Geländer, das gemeinsam mit der Hecke den Park umgab und die Stelle zum Teil vom Verkehr auf der Fairview Road abschirmte.
Ein seltsamer Ort, um ein Opfer zurückzulassen, dachte Mulcahy, als er auf Keane zuging. Frühmorgens war es natürlich viel ruhiger gewesen, trotzdem handelte es sich um eine Hauptverkehrsstraße, an der Tag und Nacht Autos und Menschen vorbeikamen. Er drehte sich um, sah über die breite Straße zu der Ladenzeile gegenüber. Eine Drogerie, ein Mini-Markt, ein Makler und ein Café. Darüber im ersten Stock vermutlich Wohnungen, alle mit Vorhängen vor den Fenstern und Aussicht auf den Park. Auch ein paar Überwachungskameras, oben an der Backsteinfassade, wenn auch vermutlich nicht so ausgerichtet, dass sie diese Stelle erfassten. Trotzdem, das Risiko, von jemandem entdeckt zu werden, war ziemlich hoch.
»Entweder musste er sie ganz dringend loswerden, oder es war ihm scheißegal, ob er gesehen wird«, sagte Mulcahy, nachdem er sich vorgestellt hatte.
»Vielleicht beides«, erwiderte Keane und schob sich eine schlaffe, schwarze Haarsträhne aus der Stirn.
Mulcahy schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er war drahtig und wirkte intelligent, was vermutlich an der schmalen, randlosen Brille lag, die unten auf seiner Hakennase klemmte.
»Er hat sich jedenfalls nicht viel Zeit dafür genommen. Soweit ich das beurteilen kann, ist er rangefahren, rausgesprungen, hat das Mädchen über das Geländer gestoßen und die anderen Sachen hinterhergeworfen, dann war er auch schon wieder weg. Hat auch fast keine Spur von sich selbst hinterlassen.«
Mulcahy sah sich noch einmal um. Der Fairview Park war eine breite Fläche mit Rasenflächen, ein paar Wegen und kleinen Gebüschen aus ramponierten Pappeln und Weißdornbüschen. Das Land, das man dem Meer und der schlammigen Mündung der Tolka abgerungen hatte, wurde von einem gebogenen Damm zerschnitten, über den gerade ein hellgrüner Dart-Zug ins Stadtzentrum ratterte. Im Hintergrund erleuchtete eine weite, blaugraue, von der Sonne angestrahlte Meerwasserfläche den Horizont, und rechts von sich sah er in weiter Ferne noch die beiden Höcker am südlichen Ausgang des Dublin-Port-Tunnels. Warum entledigte man sich hier eines Körpers, fragte sich Mulcahy. Warum hatte sich der Täter diesen belebten Ort ausgesucht? Musste er das Mädchen wirklich so dringend loswerden? Oder wollte er etwas beweisen? Sollte sein Opfer schnell gefunden werden? Weil er nicht wollte, dass es starb?
»Können wir
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