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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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weiter und verseuchte die Dunkelheit um sie herum.
    Das Tempo war jetzt etwas flotter, und ein paar Streicher begleiteten die Gitarre, trotzdem nahm die Melodie ihr fast den Atem. Jetzt erkannte sie den Song: My Prayer , den sie eigentlich besser in einer Version der Platters kannte, weil ihre Eltern ihn früher zu Hause andauernd gehört hatten. Das war lange her. Sie kam sich vor, als wäre sie all die Jahre heimlich von einem Gespenst verfolgt worden, und Orbisons erstickte Töne verwandelten den kurzen Song über eine eingebildete Liebe in die Drohung eines Geistesgestörten.
    Schließlich fand sie den Anrufbeantworter und drückte die Stopp-Taste. Als sie das Klicken unter dem Finger spürte, schien sich der Druck in ihrem Kopf zu lösen, und die Stille, die sie umgab, kam ihr noch lauter vor als das gerade unterbrochene Musikstück. Sie hörte, wie die Luft in ihre Lungen hinein- und herausrauschte, das Rascheln ihrer Hose auf dem Teppich, als sie die Beine ausstreckte, sich zurücklehnte und spürte, wie die Erschöpfung sie übermannte.
    »Dieser Wichser«, sagte sie in die Dunkelheit und starrte die Lichter der Stadt an, die sich im Fenster brachen und wie messerscharfe, orange Flammen aussahen. »Der Wichser soll bloß nicht glauben, dass er mich mit seinen schäbigen, alten Platten beeindrucken kann.«

11
    Es sah aus, als sollte es ein weiterer wunderbarer Sommertag werden, dieses seltene Zusammentreffen von tiefblauem Himmel und hell strahlender Sonne, das jeden Dubliner, der etwas auf sich hielt, dazu veranlasste, den Morgengruß um ein: »Herrlicher Tag, finden Sie nicht auch?« zu ergänzen. Schon um Viertel nach acht war es so warm, dass es im Vergleich zu den sonst eher kühlen Temperaturen in der Stadt schon fast drückend wirkte. Auf dem Weg zur Arbeit hatte Mulcahy den Ellbogen ins offene Fenster gelegt und darüber nachgedacht, was er heute dafür tun könnte, um die ganze Geschichte weiter zu beschleunigen.
    Die Stelle in Cork beschäftigte ihn immer noch. Gestern Abend hatte Liam Ford angerufen und erzählt, dass die Verantwortlichen mit Dowling gesprochen hätten, der aber auf Zeit spielte und offenbar die Abfindung noch etwas hochtreiben wollte. Gut, damit war zu rechnen gewesen. Es wäre dumm von dem Mann, gleich das erste Angebot anzunehmen, besonders nachdem er sich die Verletzung, die das Ende einer herausragenden Karriere bedeutete, im Dienst zugezogen hatte. Trotzdem lief es wohl darauf hinaus, dass sich die Sache nicht mehr monatelang hinziehen, sondern in den nächsten Wochen entschieden sein würde.
    Langsam lief ihm die Zeit davon. Irgendwie mussten sie mit den Ermittlungen vorankommen, sonst könnte er den neuen Job vergessen. Er hatte sich den ganzen Abend lang mit den diversen Objektbeschreibungen und Fotos beschäftigt, die die Makler ihm zur Überprüfung zugeschickt hatten. Einer hatte auch schon am frühen Morgen angerufen und ihm mitgeteilt, er habe bereits mit zwei Interessenten einen Besichtigungstermin am Samstag vereinbart, denen sich ja häufig noch ein paar Kurzentschlossene anschließen würden. Die Aussicht, sowohl von seiner gegenwärtigen Arbeit als auch vom Haus erlöst zu werden, hatte Mulcahy einen gewaltigen Energieschub versetzt. Eventuell lag das allerdings auch an Siobhan. An sie hatte er ebenfalls ziemlich lange gedacht. Selbst der Gedanke, nach Cork zu ziehen, hatte die Freude nicht nachhaltig getrübt. Schließlich lag es nur eine dreistündige Zugfahrt entfernt.
    Sein Handy summte.
    »Mulcahy?« Es war Brogan.
    »Ja. Wie läuft’s?«
    »Nicht gut.«
    Gott, klang die niedergeschlagen.
    »Hat Kennedy eine ›Sie kommen aus dem Gefängnis frei‹-Karte für Scully aufgetrieben?« Die Frage war nicht ganz ernst gemeint, daher kam ihre zustimmende Antwort für ihn überraschend.
    »Ja, hat er.«
    »Mist«, fluchte Mulcahy. »Ich dachte, wir hätten ihn. Wie hat er das hingekriegt?«
    »Hören Sie, Mike, ich hab jetzt wirklich keine Zeit, das zu erklären, aber es geht nicht mehr allein darum, dass wir ihn nur über Nacht nach Hause geschickt haben. Es ist viel schlimmer.«
    »Klingt nicht gut.«
    »Ist es auch nicht. Es hat noch einen gegeben«, sagte sie, als traute sie ihren eigenen Worten nicht. »Noch einen Überfall, meine ich. Heute Nacht. Draußen in Marino. Ich weiß noch nicht genau, wann das war. Das Revier hat es gerade erst gemeldet.«
    »Verdammte Scheiße. Wie schlimm ist es?«
    »Scheint noch schlimmer zu sein als bei Jesica. Das Opfer hat es

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