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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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entdeckt, rieb es sanft zwischen Finger und Daumen und versuchte, es deutlicher sichtbar zu machen. Dann zeigte er es Keane. Drei dünne, zwischen fünf und zehn Zentimeter lange Fasern klebten am glänzenden Stoff des Tops.
    »Ach ja«, sagte Keane. »Davon hab ich am Rock noch ein paar entdeckt und einzeln verpackt. Hundertprozentig sicher bin ich nicht, scheint aber Plastik zu sein. Ich würde es für eine Art Gewebe halten, etwas, aus dem stabile Plastiksäcke bestehen – Sie wissen schon, die, in denen Kohle, Brennholz, ein Zentner Zwiebeln oder so was verpackt werden. Ich gehe nicht davon aus, dass sie von einem Kleidungsstück stammen, ansonsten hätte unser Täter in dieser Beziehung einen sehr eigenwilligen Geschmack.«
    »Aber im Laderaum eines Lieferwagens könnte man dieses Plastikzeug schon finden?«
    »Ich denke mal. Das müssten wir natürlich prüfen, bevor ich es bestätigen kann.«
    »Prüfen Sie«, sagte Mulcahy. »Das hat absolute Priorität. Die Aufträge schicke ich nachher noch zu Ihnen rüber.«
    Obwohl Brogan ihn gebeten hatte, zum Harcourt Square zurückzukehren, sobald er fertig war, verleitete irgendetwas Mulcahy dazu, den Wagen zu wenden und zum Mater Hospital in der Dorset Street zu fahren. Er fuhr dabei über die Clonliffe Road und an einigen der Bollwerke von Holy Catholic Ireland vorbei. Links erhoben sich die klotzigen Betonsäulen des Croke-Park-Stadions, dem Hochaltar der Gaelic Athletic Association, in das sein Vater ihn regelmäßig zu Fußball- und Hurlingspielen mitgenommen hatte. Auf der rechten Seite, fast direkt gegenüber, befand sich der große Bau des Clonliffe College, das früher die zweitwichtigste Ausbildungsstätte irischer Priester war, jetzt aber kurz vor der Schließung stand, weil sich kaum noch jemand zu diesem Weg berufen fühlte. Dahinter lag der gotische Palast des Erzbischofs, jahrzehntelang das Zentrum klerikaler Macht und politischer Einflussnahme im Land. Dann folgte ein weiterer großer Bau, das viktorianische Mater Hospital. Mulcahy erfuhr, dass Brogan kurz hereingeschaut hatte, dann allerdings sofort wieder gegangen war. Er schleppte sich durch das Labyrinth der Flure und den Mief von Desinfektionsmitteln zur Intensivstation, wurde aber nicht zu der Patientin vorgelassen, sondern musste durch das Fenster in der Tür hineinsehen. Weiter hätte er allerdings sowieso nicht gewollt. Ihm reichte ein Blick in die Kabine, in der das schwer mitgenommene Mädchen durch Schläuche atmete und mit scheinbar jedem der medizinischen Wissenschaft bekannten Gerät verbunden war. Es genügte, um den Kreis zu schließen und das zu bestätigen, was er eigentlich schon gewusst hatte: Bei dem Täter handelte es sich fraglos um denselben Schweinehund, der Jesica Salazar überfallen und gequält hatte. Und auch um denselben, der Grainne Mullins verunstaltet hatte.
    Ihm war übel, als er das Mater Hospital wieder verließ. Er hatte ein nagendes, leeres Gefühl im Bauch, das er anfangs nicht zuordnen konnte, als es dann jedoch langsam weiter nach unten sackte, erkannte er, dass es etwas war, was er seit Jahren nicht mehr empfunden hatte: Zorn. Echter, brennender Zorn. Gerechter Zorn. Genau das, was er früher als junger Polizist, der die Welt verbessern wollte, häufiger verspürt hatte. Wie damals, als er kurz nach seiner Beförderung zum Detective zur Drogenfahndung gegangen war und festgestellt hatte, dass das seine Berufung war – fast ein bisschen, als ob er frisch verliebt wäre. Mit einem Schlag hatte sich seine ganze Welt verändert. Dieses Gefühl war dann jedoch im Lauf der Jahre durch eine wütende Verbissenheit ersetzt worden, als er Tag für Tag und Jahr für Jahr mit Drogensüchtigen zu tun hatte, die im Dreck, Elend und Verbrechen dahinsiechten: Jugendliche, die sich mit stumpfen Blicken für ihren nächsten Schuss prostituierten; Mädchen, kaum alt genug, schwanger werden zu können, ließen ihre heulenden, hungrigen Babys allein zu Haus und zogen los, um irgendetwas zu klauen oder ihren Körper für ein paar Drogen zu verkaufen. Derweil genossen die Schweine, die die Drogen für diese Sucht heranschafften, ihr Leben in schicken Villen in Kinsealy oder auf Gestüten unten in Kildare.
    In solchen Situationen war der Zorn wie brennende Lava durch seine Adern geflossen. Das hatte ihn angetrieben und vom einfachen Garda die Karriereleiter hinauf zum Detective Sergeant und weiter zum Detective Inspector katapultiert – innerhalb von nur zehn Jahren. Er hätte

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