Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)
gehen schien. Ihr Blick war traurig, aber nicht mehr völlig leer. Sie lächelte sogar schwach, als er heimkam, winkte ihn zu sich heran und nahm ihn in den Arm.
Vil war perplex, denn so etwas tat sie sonst nie. Dann nahm er einen Geruch wahr, den er inzwischen gut kannte. Seine Mutter war betrunken.
» Willst du, dass sie schläft, oder nicht? « , fragte der Brenner gelassen, als er ihn zur Rede stellte.
» Ihr sollt sie nicht betrunken machen, Menher! «
» Wäre es dir lieber, sie würde verrückt? «
» Nein, aber … «
» Keine Sorge, mein Junge. Schon bald wird es ihr so gut gehen, dass sie diesen Tee nicht mehr braucht. «
Von nun an fand Vil seine Mutter jeden Abend angetrunken vor. Sie weinte viel, umarmte ihn und seine Schwester häufig und weinte noch mehr. Dann klagte sie ihr Leid, und manchmal verfluchte sie alle, die sie in dieses Unglück gestürzt hatten.
» Sie macht mir Angst, Vil « , sagte Tiuri, » sie ist gar nicht mehr wie Mutter. «
» Ich rede mit Menher Delior « , versuchte er sie zu beruhigen.
Esrahil Gremm verbrachte unruhige Tage, in denen er sich kaum aus dem Haus wagte. Er vertiefte sich in Arbeit, auf die er sich gleichwohl nicht konzentrieren konnte, zuckte bei jedem Klopfen an der Pforte zusammen, weil er damit rechnete, dass die Wachen kämen, um ihn abzuholen, und er schlief und aß mehr schlecht als recht.
Mehr als einmal stand er kurz davor, doch wieder in den Roten Löwen zu gehen, um Sester Elgos zu fragen, wie die Sache ausgegangen war, aber letztlich wagte er es nicht. Vielleicht hätte er sich auch auf der Straße erkundigen können, ob man Neues gehört hatte von dem Mord im Katzenviertel. Aber wussten die Leute davon? Kümmerte es irgendjemanden im Seeviertel oder überhaupt auf der Ritterseite, wenn in diesen verrufenen Gassen jemand ermordet wurde? Würde er nicht eher Verdacht erregen? Also unterließ er auch das.
Einige Tage nach seiner Unterredung mit Sester Elgos hörte Esrahil Gremm durch die geöffnete Tür seines Arbeitszimmers die Köchin mit jemandem auf der Straße reden; der Stimme nach war es der Gärtner der Nachbarn.
» Ja, so wahr ich hier stehe « , rief die Köchin, » ein Priester! Er lebte wohl in einem Tempel in dieser Fischersiedlung unweit der Neuen Werft, die Ihr vielleicht kennt. «
Gremm spitzte die Ohren, der Gärtner entgegnete etwas, was Gremm aber nicht verstand, woraufhin die Köchin empört ausrief: » Es ist mir gleich, ob ihr Fisch gut ist! Diese Menschen dort scheinen abgefeimte Bösewichte zu sein. Warum? Nun, Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ein Priester diesen Fischer auf offener Straße ermordete, aber irgendjemand hat die geraubten Münzen am Tempel versteckt. «
Ein leichtes Lächeln glitt über Gremms Lippen. Sester Elgos hatte die verfängliche Beute dem Priester untergeschoben? Er war schon früher einfallsreich gewesen, wenn es um solche Streiche ging.
Der Gärtner hatte wieder etwas gesagt, irgendetwas darüber, dass man niemandem mehr trauen könne, aber die Köchin erwiderte: » Nein, die Wachen glauben auch nicht, dass es dieser fromme Mann war. Was sie getan haben? Na, sie haben alle Fischer festgenommen. Beim Verhör werden sie schon gestehen, und wenn der Mörder nur einen Funken Ehre im Leib hat, gesteht er, bevor die Folter beginnt. «
Und dann plädierte sie leidenschaftlich dafür, den Übeltäter hinzurichten, so ein Mord unter Gesindel möge ja angehen, aber es einem Mann des Himmels unterzuschieben …
Gremm hörte dem Geplapper nicht mehr zu. Er fühlte sich hundeelend. Aber was sollte er machen? Die einzige Möglichkeit, den Fischern zu helfen, wäre wohl, sich selbst aufs Schafott zu legen.
An diesem Morgen war Vil mit Sed unten an der Fischpforte und wartete auf die übliche Morgengabe, aber sie blieb aus. Die Haldenbewohner blickten erwartungsvoll nach oben, doch nichts tat sich jenseits des Gitters, nur hohe weiße Wolken zogen über einen unerreichbaren Himmel. Nach und nach zerstreute sich die Versammlung, hungrig und besorgt. Selbst die Ältesten konnten sich nicht erinnern, dass so etwas jemals vorgekommen war.
Vil redete mit dem Brenner, wie er es Tiuri versprochen hatte, doch der war taub gegenüber allen Einwänden, die Vil erhob. » Ich wäre ein herzloser Mann, wenn ich ihr nun das Einzige nähme, was ihr wirklich Trost spendet « , erklärte er lapidar. Dann seufzte er und fragte: » Wie alt bist du, mein Junge? «
» Fast Sechzehn « , erwiderte Vil, obwohl es noch einige
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