Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
vielleicht sogar für immer. Was blieb ihr da noch? Die Möglichkeit, Beccas Baby wie eine Märtyrerin großzuziehen, oder die Kinder, die sie gern und bereitwillig angenommen hatte, im Stich zu lassen, um ihr eigenes Baby zu bekommen. Das waren keine Optionen.
»Anna«, fing Phil an, doch da marschierte sie schon aus dem Zimmer. Prinzipiell hatte sie sich vorgenommen, niemals aus dem Zimmer zu stürmen, wenn die Kinder dabei waren, doch Annas Geduld hing am seidensten aller Fäden, und sie traute sich selbst nicht über den Weg, wenn sie bliebe.
Vom Haken neben der Haustür nahm sie die Leine, und schon war Pongo bei ihr und wedelte begeistert mit dem Schwanz, aus Freude darüber, eine Stunde mit ihr zu verbringen.
»Komm schon, Pongo«, rief sie. » Wir machen einen Spaziergang. Einen ganz, ganz langen Spaziergang.«
Falls Anna sich Becca gegenüber mittlerweile mehr und mehr wie eine Mutter gefühlt hatte, so wurde ihr diese Illusion sofort genommen, sobald Sarah eintraf. Sie wurde immer weiter in den Hintergrund gedrängt, je mehr sich ein Chaos aus Streitereien und Tränen entwickelte. Die Einzige, die in dieser Situation Ruhe ausstrahlte, war Becca, die mit der Miene einer Renaissancemadonna erklärte, ihr Baby bekommen und es keinesfalls im Stich lassen zu wollen. Ihre stille Zuversicht machte alles nur noch herzzerreißender.
Anna lief herum, bereitete Sandwiches zu und hielt Lily und Chloe aus der Sache heraus, während Sarah, Phil und Becca sich stritten und weinten und dann mit Owen und Michelle wieder stritten und weinten. Phil drohte zwar des Öfteren, Owen Verstand einzuprügeln, doch Becca ließ nichts dergleichen zu. Phils Ärger verwandelte sich zunehmend wieder in Verwirrung, als das junge, hübsche Pärchen händchenhaltend in der Küche saß und gefasster reagierte als alle anderen zusammen.
Anna war bewusst, dass sie eigentlich Paroli bieten und ihren Platz in diesem Gefüge verteidigen sollte, da auch ihr Leben von dem Baby in Beschlag genommen werden würde, doch sie fand einfach nicht die richtigen Worte, um sich auszudrücken. Sie war vielmehr überfordert von der übermächtigen Präsenz der schwangeren Sarah, deren praller Babybauch nur noch mehr ihre Rolle in diesem Haus hervorhob: die der Mutter. Sie war Beccas Mutter und damit die einzige Person, der es erlaubt war, ihr durch eine Schwangerschaft zu helfen.
Anna fühlte sich in ihrer Welt plötzlich orientierungslos. Der einzige Ort, an dem sie sich noch wohlfühlte, war der Buchladen. Dort konnte sie, ganz gleich ob auch nur für kurze Zeit, Welten betreten, in denen es sehr wohl Happy Ends und eine Belohnung für Selbstaufopferung gab.
»Bist du immer noch da?«, fragte Michelle, als sie kam, um die letzte Stunde im Laden einzuspringen. Draußen setzte allmählich die Abenddämmerung ein, sodass die Tischlampen im Geschäft ein gemütliches Herbstgefühl verbreiteten.
Anna räumte einen Stapel mit Geschichten von Roald Dahl von der Verkaufstheke und hoffte inständig, dass Michelle durch die Schaufensterscheibe nicht mitbekommen hatte, dass sie in James und der Riesenpfirsich vertieft gewesen war. Im Augenblick empfand sie allein schon die Möwen auf dem Cover als tröstlich und beruhigend. Die zwanzig Minuten, die sie gerade der Musik von Bach und dem Knistern des Feuers im hinteren Verkaufsraum gelauscht und sich dabei vorgestellt hatte, in dem gemütlichen Inneren einer Riesenfrucht zu sitzen, waren der Höhepunkt ihres Tages gewesen, obwohl kundentechnisch im Laden eine gähnende Leere geherrscht hatte.
Wenigstens fand der Pfirsich seinen Weg nach New York, erinnerte sie sich immer wieder. Es gibt immer ein Ende, selbst wenn die zwei bösen Frauen kinderlose Tanten waren, die sich um den armen James kümmern sollten. Kinderlose, schrumpelige Tanten sprangen ihr derzeit recht häufig ins Auge.
»Du kannst ruhig nach Hause gehen, wenn du möchtest«, fuhr Michelle fort. »Ich muss hier ohnehin noch ein paar Dinge erledigen. Kelsey passt nebenan auf. Sie braucht die Überstunden.«
»Nein, schon okay. Ich kann gern bis Geschäftsschluss bleiben«, erwiderte Anna. »Sarah ist mit den Mädchen zum Shoppen gefahren, danach wollen sie sich einen Film ansehen. Ich denke, sie können ein wenig gemeinsame Zeit brauchen.«
»Tatsächlich?« Michelles Augenbraue kletterte in die Höhe. »Das ist wirklich nett von dir. Aber würdest du die freie Zeit nicht lieber mit Phil verbringen?«
»Und dann? Soll ich mit ihm wieder alle
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