Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
mochte. Und wenn sie noch so lange bei ihm blieb, bis Lily das Haus verließ, würde sie dies noch neun Jahre lang ertragen müssen.
»Ich rufe dich an«, erklärte sie nur.
Anna raste wie eine Besessene zur High Street und schloss mit ihrem Ersatzschlüssel die Tür auf.
»Becca?«, rief sie und rannte die Treppe hinauf. »Becca?«
»Hier.«
Anna stieß die Badezimmertür auf und fand Becca, eingeklemmt zwischen der Badewanne und der Toilette. Es roch nach Erbrochenem und Beccas Teint war ganz grau; winzige Stücke Toilettenpapier klebten an ihren Lippen. »Du Arme!«
»Ich habe mich übergeben, bin dann ausgerutscht und habe mir den Knöchel so verdreht, dass ich jetzt festhänge.« Sie weinte.
»Wie lange sitzt du schon hier?«, fragte Anna sie und half ihr vorsichtig aufzustehen.
»Seit elf Uhr. Ich habe sämtlichen Leuten SMS geschickt, aber mein Empfang wurde immer schwächer, deswegen bezweifle ich, ob alle Nachrichten tatsächlich angekommen sind. Dann war der Akku alle, und ich konnte mich nicht mehr bewegen …« Beccas Hand wanderte zu ihrem Magen. »Wenn mit dem Krümel etwas passiert ist, werde ich mir das nie verzeihen«, schluchzte sie. »Das ist alles meine Schuld.«
»So ist das, wenn man Mutter ist«, erklärte Anna, strich ihr über das Haar und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. »Als Mutter ist man immer an allem schuld. Und jetzt fahre ich mit dir ins Krankenhaus, keinen Widerspruch!«
In der Notaufnahme gesellte sich Phil zu ihnen, der Lily und Chloe strikte Anweisungen gegeben hatte, sofort ins Bett zurückzukehren und keinesfalls die Glee -DVD einzulegen – was gleichermaßen eine Einladung dazu war.
Vor Sorge war er ganz grau im Gesicht, und als die Krankenschwester Becca die Toiletten zeigte, packte er Annas Hand.
»Geht es ihr gut?«, fragte er. »Was ist passiert?«
Anna erzählte ihm, was sie bisher in Erfahrung gebracht hatte – ein Garnelencurry, das Becca für ungefährlich gehalten hatte, das starke Erbrechen, der verstauchte Knöchel, die Entwarnung für das Baby –, und sogleich machte sich Erleichterung in seinem Gesicht bemerkbar.
»Das reicht, sie kommt mit zu uns nach Hause«, erklärte er. »Ich lasse sie auf keinen Fall allein in dieser Wohnung zurück!« Phil kehrte mit einem Mal den besorgten Familienvater heraus – ein wenig spät, wie Anna fand –, und hatte seine Erklärung auf dem Weg hierher offensichtlich einstudiert. »Ich bin erst dann wieder beruhigt, wenn ich weiß, dass sie in Sicherheit ist. Sie zieht wieder zu uns.«
»Ist dir aufgefallen, dass auch Owen bei ihr sein möchte?«, hob Anna hervor.
»Prima!« Phil hob sarkastisch die Hände. »Je mehr wir sind, desto lustiger wird es bestimmt! Wir haben doch genug Platz im Haus.«
»Nein, haben wir nicht.« Anna bekam Panik bei dem Gedanken an all das Kochen und Putzen. Das Haus war zwar nicht gerade klein, aber als sie es gekauft hatten, hatten sie schließlich keine solche Großfamilie vor Augen gehabt.
»Das ist echtes Familienleben. So sieht das Leben in einer Großfamilie aus.« Phil sparte sich die Bemerkung, »Das ist es doch, was du immer wolltest!«, doch diese Andeutung schwang mit.
Anna starrte ihn an, und Phil starrte zurück. Rund um sie herum wurden kugelrunde Schwangere von ihren strahlenden, glückstrunkenen Ehemännern in Rollstühlen gefahren; andere wiederum trugen rosafarbene Neugeborene auf dem Arm.
Anna musste unweigerlich an Beccas Baby denken, das in wenigen Monaten zur Welt kommen würde. Das machte dann sieben Familienmitglieder – ohne, dass die Chance auf ein achtes bestand –, und sie fragte sich, wie viel man denn noch von ihr zu ertragen erwartete.
Am 5. Dezember brachte Sarah einen kleinen Jungen namens Henry Graham Boston Rogers mit 3708 g zur Welt.
Henry nach Jeffs Vater, Graham nach Sarahs Vater. Über den Boston-Teil wollte lieber keiner genauer nachdenken.
Da Sarah im Kinderzimmer eine Webcam installiert hatte, hingen Chloe, Becca und Lily unaufhörlich vor dem Bildschirm und starrten ihren kleinen Halbbruder an, als seien sie und er irgendein spannendes Fernsehprogramm. Anna entwickelte eine Immunität gegenüber transatlantischem Babygeschrei, doch innerlich fühlte es sich so an, als würde ihr jemand das Herz herausreißen. Henrys überraschte Miene und sein zarter Babyflaum verfolgten sie auf Schritt und Tritt: auf Bildern am Kühlschrank, auf Karten, in E-Mails. Das Haus fühlte sich überfüllt an. Mit jedem Tag wuchs Beccas Babybauch,
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