Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
besorgen, mehr nicht. Und selbst jener Baum war ein Kauf in letzter Minute; in beiden Läden herrschte so viel Betrieb, dass sie nicht einmal die Zeit gefunden hatte, ihren gewohnt majestätischen Baum beim Spezialisten zu bestellen. Ihre Abende waren mit Rory und Tarvish ausgefüllt. Am Ende hatte sie sich auf dem Heimweg nach einem ausgiebigen Spaziergang und Mittagessen in einem Pub die letzte krumme Tanne im Pflanzencenter geschnappt und sie ohne viel Federlesens in den Kofferraum befördert – sehr zu Tarvishs Missfallen, der sich über die Nadeln in seinem Autokorb empörte.
Michelle betrachtete die windschiefe Tanne, die mit goldenen Kugeln und einem großen, goldenen Stern recht schlicht geschmückt war, und beschloss, sie zu mögen. Das war Minimalismus pur. Dann würde es in diesem Jahr eben eine minimalistische Weihnachtsdeko geben. Ein Haus, das dekotechnisch ein wenig unterversorgt war, deutete auf ein vielbeschäftigtes, glückliches Heim hin, entschied sie.
Michelles Mutter fing schon Anfang Dezember damit an, ihre Schuldgefühle zu wecken, indem sie Michelle fragte, wo sie denn die Weihnachtstage zu verbringen gedachte. Doch dank eines Überraschungsgeschenks von Rory hatte Michelle schon eine passende Antwort parat.
»Hast du Lust, über Weihnachten nach Paris zu fahren?«, fragte er, als er während einer Mittagspause bei Home Sweet Home hereinschaute. »Ich wollte schon immer mal Heiligabend in Notre-Dame sein, und wenn ich allein hingehe, sehe ich aus wie dieser traurige einsame Mann aus einem E.-M.- Foster-Roman.«
»Und wenn du mit mir hingehst?«
»Dann sähe ich aus wie der romantische Held in einem Film von Richard Curtis.«
»Und das sagst du jetzt, weil du glaubst, dass ich mich nur bei Filmen auskenne?«, fragte Michelle und ignorierte Gillians süffisantes Lächeln hinter Rorys Rücken. »Ich habe Sakrileg von Dan Brown gelesen, ja? Ich weiß also Bescheid, was Paris betrifft.«
Rory zwinkerte ihr zu, doch sie wusste, dass er trotz seiner Neckerei daran dachte, was sie ihm über Harvey und die alptraumhaften Weihnachtsfeiern im Kreise ihrer Familie erzählt hatte. Er war entsetzt gewesen und hatte sich offensichtlich Gedanken darüber gemacht, wie er sie davor beschützen konnte.
»Am Wochenende davor treffe ich mich mit Zachary«, fügte er hinzu, bevor sie fragen konnte. »Lass uns zuerst die familiären Pflichten hinter uns bringen, bevor wir dann den Urlaub genießen können.«
»Ho, ho, ho«, erwiderte Michelle und lächelte.
Am darauffolgenden Wochenende packte sie den Stier bei den Hörnern, verfrachtete alle Geschenke in ihr Auto und fuhr zu ihren Eltern hinunter, um ihnen einen Überraschungsbesuch abzustatten.
Leider war ihre Mutter nicht sonderlich erfreut über diese Überraschung. Sie war, wie sie erklärte, gerade damit beschäftigt, für eine Dinnerparty am nächsten Abend ein kompliziertes Trifle zu backen mit Biskuitböden, zwei unterschiedlichen Cremefüllungen und verschiedenen Obstschichten. Michelle musterte die Küchengeräte, die wie ein Operationsbesteck auf der Theke arrangiert waren, und ausnahmsweise einmal kam sie sich nicht wie eine absolute Niete in der Küche vor. Vielmehr sah alles nur nach einer großen Menge Abwasch aus – und das allein für einen Nachtisch.
»Michelle!« Ihr Vater schien sich sehr zu freuen, sie zu sehen. Dank des frisch gewischten Bodens beschränkte sich sein Bewegungsradius zwar auf eine Ecke der Küche, aber er sprang sofort auf, breitete die Arme aus und tat, als wolle er Michelle umarmen.
»Schuhe aus, bitte!«, fauchte Carole, als Michelle zu ihm hinüberlief und ihn in die Arme schloss. »Nanu, welche Ehre. Wir hatten nicht erwartet, dich hier zu sehen, bevor wir dich nicht mindestens viermal angerufen haben. Stimmt etwas nicht?«
»Nein. Ich kann nur einfach an Weihnachten nicht herkommen«, erwiderte sie. »Deswegen wollte ich die Geschenke für alle jetzt schon vorbeibringen.«
»Oh, nicht schon wieder? Ich hatte gehofft, dass du dir nach letztem Jahr wenigstens die Mühe machen würdest – um mir zu helfen, wenn schon nicht aus anderen Gründen.« Ihre Mutter verzog verärgert das Gesicht und schien dabei wohl zu vergessen, dass sowohl Ben als auch Jonathan sie regelmäßig anflehten, Heiligabend allein mit ihren Familien feiern zu dürfen. »Und jetzt erzähl mir bitte nicht, dass du in irgendeinem Seniorenheim helfen musst. Sei wenigstens so ehrlich und gib zu, dass du den Tag im Bett verbringen und
Weitere Kostenlose Bücher