Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
folgte ihr dann nach drinnen.
Im Buchladen war es feucht und kühl. Trotzdem lief ihr ein wonniger Schauer der Aufregung über den Rücken, als sie mit gierigen Blicken die Buchregale musterte. Stadtbüchereien waren ihrer Meinung nach nicht dasselbe wie ein echter Buchladen; aus geliehenen Büchern strömten die prosaischen Gerüche anderer Leute, sie verwässerten den Sinn für jene magische Welten. Unberührte, unerforschte Bücher waren dagegen etwas ganz anderes.
Langsam schritt sie an den Regalen vorbei, neigte den Kopf und las die Buchtitel, die in den teilweise leer geräumten Fächern noch vorhanden waren. Mr. Quentin mochte fort sein, doch seine Sammlung militärhistorischer Bände nahm immer noch den allerbesten Platz in der Nähe der Eingangstür ein. Es war seltsam, diesen Laden zu betreten, ohne dass er hinter dem Tresen stand oder andere Kunden das Angebot an Büchern betrachteten. Irgendwie kam Anna alles kleiner und trauriger vor, als sie es in Erinnerung hatte.
Pongo schnüffelte interessiert am Papierkorb neben dem Verkaufstresen. Schnell sah Anna nach, dass sich auch ja nichts Essbares darin befand, bevor sie die ausziehbare Leine an einem der schweren Thekenbeine befestigte und sich dann auf den Weg zu Michelle machte.
Diese stand im hinteren Verkaufsraum, wo die Regale über und über mit Secondhandbüchern beladen waren. Offenbar hatte Mr. Quentin bei Haushaltsauflösungen und Flohmarktangeboten nie Nein sagen können. Dort, wo Michelle ein Regal von der Wand gezogen hatte, lagen die Bücher um ihre Füße herum verteilt auf dem Boden. Sie selbst betrachtete zwei breite buttercremefarbene Abschnitte auf der verblichenen hellrosa Tapete.
»Was meinst du?«, fragte sie und drehte sich zu Anna um, um ihre Reaktion zu beobachten. »Welche Farbe? String oder Matchstick?«
»Die sehen doch beide gleich aus. Darfst du das denn überhaupt? Renovierst du den Laden für jemand anderes?«
»Nein. Und noch mal nein.« Michelle holte einen weiteren Topf aus ihrem Jutebeutel hervor und pinselte eine weitere Farbe unter die cremefarbenen Quadrate. Diese war ein leuchtendes Rot. »Wie wäre es denn mit einer richtigen Lesesaal-Atmosphäre? Oder sieht das zu sehr nach dem Inneren einer Leber aus?«
»Verrätst du mir, was das alles soll?«
»In einer Minute.«
Anna konnte nur schwerlich den Anblick von Büchern ertragen, die auf dem Boden herumflogen. Darum bückte sie sich, um sie der Reihe nach aufzuheben, und verspürte einen Hauch von Wehmut, als sie ihr altes Lieblingsbuch wiedererkannte: Die gleiche Ausgabe von Charlie und die Schokoladenfabrik aus den Siebzigerjahren, die früher in ihrem eigenen Buchregal gestanden hatte und auf der die magische Schokoladenmaschine abgebildet war, aus deren Gewirr aus Schlotrohren regenbogenfarbener Schaum herausströmte. Anna blätterte durch einige Seiten; die kritzeligen, regen Zeichnungen versetzten sie unmittelbar wieder in ihr kleines Zimmer, wo ihr Vater wie ein Riese auf einem winzigen Kinderstuhl mit hochgekrempelten Ärmeln neben ihrem Bett gesessen und ihr »nur noch ein Kapitel« vor dem Schlafengehen vorgelesen hatte. Roald Dahl war auch sein Lieblingsschriftsteller, und er las jede Figur mit verstellter Stimme: die zickige Veruschka, den gefräßigen Augustus Glupsch und mit einem überraschend südamerikanischen Frohsinn die singenden Umpa-Lumpas.
Die abgewetzten Seiten fühlten sich samtig an, als Anna sie umblätterte, und ihr Kopf füllte sich mit Erinnerungen an warme Decken, den Geruch ihres Vaters, wenn er von der Arbeit kam, sein Essen unten im Ofen. Sie sah heiße Schokoladenflüsse und nie enden wollende Toffeevorräte vor sich und fühlte sich mit einem Mal wieder absolut sicher und geborgen. Sie konnte in fantastischen Welten umherwandern, Spukschlösser betreten, sich in gefährliche Situationen begeben und Kämpfe ausfechten. Und immer war ihr Dad gleich neben ihr, seine vertraute Stimme in ihrem Ohr.
Schon seit ihrer Kindheit hatte sich Anna gewünscht, einmal ihren eigenen Kindern Geschichten vorzulesen. Bei dem Gedanken an ein Baby, das dort draußen vielleicht darauf wartete, sein Abenteuer in ihrem Leben zu beginnen, füllte sich ihr Herz mit einer ungeduldigen Sehnsucht. Wenn Phil und sie erst einmal ein eigenes Baby hätten, würde sich ihr Leben grundlegend verändern. Sie würde ein Leben führen, in dem sie das Gefühl hätte, gebraucht zu werden, begehrt zu sein und eben nicht nur einfach toleriert wie eine fähige
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