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Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Titel: Der Prinz in meinem Maerchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Dillon
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sie stattdessen.
    Anna angelte in ihrer Tasche nach dem Buch. »Sie ist noch nicht da. Erst kurz bevor wir anfangen, hat sie ihren großen Auftritt, damit auch ja jeder sie sieht.«
    »Und was ist mit Mr. Quentin?«
    Michelle kam ihr raffinierter Plan mittlerweile selbst ziemlich verrückt vor. Hier gibt es keine Bücher, dachte sie. Keine Bücherregale, keine Zeitschriften, keine Zeitungen. Mr. Quentin musste hier doch durchdrehen! Wahrscheinlich würde er nur noch entschlossener daran festhalten, dass sein Laden eine Buchhandlung blieb.
    Anna schaute sich um. »Ich glaube, er ist auch noch nicht hier. Warum?«
    »Ach, ich dachte, ich könnte vielleicht mal kurz mit ihm reden. Über seinen Laden.«
    »Tatsächlich?« Anna riss die Augen weit auf. Sie war einfach zu vertrauensselig, um irgendwelche Hintergedanken zu haben. »Warum?«
    Bevor sich Michelle eine angemessene Antwort zurechtlegen konnte, kam eine Frau mittleren Alters in Leggins und einer Tunika auf sie zugestürzt. In der Hand hielt sie ein Klemmbrett, und von ihrem ablageförmigen Busen hing wie ein Lot ein Kugelschreiber an einem Band herunter. Freudestrahlend lächelte sie Anna an.
    »Anna, meine Liebe! Haben Sie sich heute Unterstützung mitgebracht?«
    »Ja, das ist Michelle«, erwiderte Anna. »Michelle, Joyce ist die Unterhaltungsbeauftragte von Butterfield.«
    »Muss ich zu meiner Schande gestehen«, erwiderte Joyce und flatterte bescheiden mit dem Arm. »Die alten Leutchen halten mich aber ganz schön auf Trab damit!«
    Gegen ihren Willen musterten Anna und Michelle ungläubig das totenstille Zimmer mit den alten Leuten.
    »Was lesen wir denn diese Woche?«, erkundigte sich Joyce. Sie hob die Stimme, sodass die Heimbewohner, die in ihrer Nähe saßen, sich als Teil des Ganzen fühlen konnten. »Etwas Weihnachtliches?«
    »Ich dachte, ich lese etwas aus Cranford von Elizabeth Gaskell vor.«
    »Oh, wunderbar. Das lief kürzlich im Fernsehen, nicht wahr?«
    »Stimmt.«
    »Das hilft«, wandte sich Joyce an Michelle. »Obwohl sie manchmal Dinge aus den Romanen und Filmen mit ihrer eigenen Familie verwechseln und ernsthaft glauben, die Schauspielerin Joanna Lumley sei hier gewesen und hätte sie besucht. Was sie natürlich nicht getan hat.«
    Joyce und Anna trieben die Heimbewohner wie eine Hühnerschar sanft zu einem Kreis zusammen. Michelle fühlte sich unwohl, doch sie rückte einige Plätze auf und nahm neben Anna Platz. Diese stellte sich mit einer unbefangenen Heiterkeit vor und fing an vorzulesen.
    Annas melodische Stimme füllte mit Leichtigkeit die Räume zwischen den Sesseln, und Michelle war ehrlich überrascht, wie groß der Unterschied zu ihrer gewohnten Sprechstimme war. Anna sprach langsamer und bedächtiger und verlieh jedem Satz einen Rhythmus, der das Vorgelesene direkt in die Fantasie beförderte, wo ein Bild nach dem anderen entstand. Jede Romanfigur erhielt eine charakteristische Stimme.
    Anna hatte vielleicht eine Seite vorgelesen, als eine weißhaarige Dame im Türrahmen erschien, die mit deutlich zur Schau getragenem Widerwillen einen Rollator vor sich herschob. Anders als die meisten Senioren hier trug sie mit einer erbosten Trotzhaltung bunte Farben – ein leuchtend korallenroter Schal war um ihren Hals gebunden, dazu trug sie eine gelbe Hose, die mit Plastikknöpfen verziert war. Der Mund der Frau war ein waagrechter, roter Strich, da sie die rot geschminkten Lippen fest entschlossen zusammenpresste.
    »Ihr habt ohne mich angefangen«, stellte sie fest und starrte Anna böse an.
    »Nein, Evelyn, das haben wir nicht«, log Anna.
    »Doch, das habt ihr«, widersprach sie. »Ich habe ein neues Kniegelenk bekommen, mir ist nicht das Hirn entfernt worden. Ich habe dich bis in den Flur gehört. Es wäre verdammt noch mal nett, wenn du wenigstens so lange aufhören könntest, bis ich sitze. Besten Dank.«
    Das war also die höllische Schwiegermutter.
    Alle Augen richteten sich auf sie, bis sie schließlich zu dem am weitesten von der Tür entfernten Sessel gerollt war. Sie mochte vielleicht ein alter Drachen sein, aber sie wusste immerhin, wie man einen reifen Auftritt hinlegte.
    »Ich brauche keine Hilfe«, fauchte sie und setzte Joyces Versuchen ein Ende, ihr beim Platznehmen zu helfen. Stattdessen ließ sie sich viel Zeit dabei, es sich bequem zu machen. Michelle sah, wie Annas Beherrschung ins Wanken geriet, und ärgerte sich für ihre Freundin. Kein Wunder, dass sie an Weihnachten Reißaus genommen hatte, wenn sie über

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