Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
Rollator vorwärtskommt – es war also eher ein langsames Schlurfen, um die besten Plätze zu ergattern.«
»Tatsächlich?« Anna freute sich darüber. »Ich suche immer nach weiteren Freiwilligen, also wenn Sie Interesse hätten …? Die Vorlesestunde findet einmal in der Woche statt und dauert etwa eine Stunde. Manchmal auch weniger, wenn Sie unmittelbar nach dem Mittagessen beginnen – dann sind alle recht schläfrig.«
Rory dachte einen Augenblick nach. »Warum eigentlich nicht? Ich komme ohnehin regelmäßig her, um Cyril zu besuchen, also könnte ich auch die Massen unterhalten.«
»Sie könnten eine kleine Splittergruppe für die Herren aufmachen und aus ein paar Hornblower -Romanen vorlesen. Vielleicht wäre auch ein Roman von Len Deighton eine gute Idee. Bei zu viel Maeve Binchy werden die Herren nämlich manchmal ein wenig zappelig.« Sie hatte zwar halb im Scherz gesprochen, doch Rory nickte zustimmend.
»Ich bin ein großer Fan der Hornblower -Reihe. Es wäre mir ein Vergnügen. Kann man sich die Romane selbst aussuchen, oder gibt es eine vorgegebene Liste?«
»Natürlich gibt es einige Vorschläge, aber ich entscheide eher danach, was die Leute gern hören möchten. Einige scheuen sich nicht, ihre Wünsche klar zu formulieren.« Anna verzog das Gesicht. »Ich werde Ihnen bei Gelegenheit mal meine Schwiegermutter vorstellen. Auf sie sollte man immer ein wachsames Auge haben.«
»Das wird toll«, erwiderte er. »Denn welcher Anwalt hört sich nicht gern selbst reden?«, scherzte er.
Anna grinste. Rory war vielleicht oft ein wenig abweisend, doch jemand wie er, der Bücher so sehr mochte, konnte eigentlich kein schlechter Mensch sein, fand Anna. Ganz gleich, was Michelle auch manchmal wütend über ihn gemurmelt hatte. Gewisse Leute konnte sie einfach nicht leiden, und Anna wusste, wie sehr sie es hasste, von anderen vorgeschrieben zu bekommen, wie sie ihren Laden zu führen hatte.
»Ich will ja nicht neugierig sein«, erklärte Anna und schob sich eine blonde Strähne hinter das Ohr, »aber war das neulich Ihr Patenkind, das bei Ihnen zu Besuch war?« Verzweifelt suchte sie nach einer Begründung für eine so persönliche Frage. »Wir haben nämlich eine Lesegruppe gegründet, zu der auch ganz kleine Kinder mitgebracht werden können. Wenn sie es also mitbringen und nebenbei noch einige Tipps von unseren regelmäßig teilnehmenden Müttern mitnehmen wollen, sind Sie herzlich eingeladen – die anderen Mütter würden sich freuen.«
Sie hoffte, er würde ihre Frage als ein aufrichtiges Angebot betrachten, doch Rory runzelte die Stirn, sodass zwischen seinen rotbraunen Augenbrauen zwei tiefe Furchen entstanden.
»Ähm, das war mein Sohn, um ehrlich sein.«
»Tatsächlich?« Ihre Reaktion klang zu laut und zu überrascht, und der starke Wind trug den Hall keineswegs davon, wie Anna gehofft hatte. Ihre Überraschung stand zwischen ihnen.
»Sein Name ist Zachary.« Rory presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Wie sie sicherlich bemerkt haben lebt er nicht bei mir. Ich sehe ihn immer nur, wenn sich seine Mutter zufällig mal bei uns in der Nähe aufhält – was nicht gerade oft vorkommt.«
»Oh.« Anna hatte Mühe, zwischen diesen Fakten einen Zusammenhang zu erkennen. Allerdings schien Rory nicht mehr Informationen herausrücken zu wollen. »Es tut mir leid, ich wusste gar nicht, dass Sie verheira…«, fing Anna an, doch dann wurde ihr klar, dass auch diese Aussage nicht sonderlich taktvoll war.
»Ich bin nicht verheiratet. Dazu ist es nie gekommen.« Rory zog eine Augenbraue hoch. »Esther und ich haben uns einige Monate vor Zacharys Geburt voneinander getrennt.«
Du hast dich von deiner schwangeren Freundin getrennt? Jetzt war Anna diejenige, die ihre Lippen fest aufeinanderpresste, um nicht mit diesem Vorwurf herauszuplatzen. Das kam ihr vollkommen merkwürdig vor. Gehörte dies nicht zu den schrecklichsten Dingen, die man tun konnte? Dabei sah Rory gar nicht so aus, als sei er einer jener Männer, die ihre schwangere Freundin sitzenlassen! Er schien so …
Belesen zu sein?
»Sonst noch Fragen?«, fragte er abwehrend.
Anna schüttelte den Kopf. Die ganze Sache ging sie zwar nichts an, aber dennoch war sie enttäuscht. Wie konnte er ein Kind zeugen und sich dann einfach aus dem Staub machen? Es so im Stich lassen?
Rory nickte kurz zum Abschied und eilte dann zu seinem Auto hinüber. Anna sah ihm hinterher, drehte sich dann aber schnell um, bevor er sie dabei entdeckte,
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