Der Prinz mit den sanften Haenden
entsteht, erkannte Clio, wie es wirklich war.
Jalal war nicht ihr Feind. Er hatte Recht: Sie hatte sich das aus Angst eingeredet. Tatsächlich fürchtete sie sich vor ihren eigenen Gefühlen. Es machte ihr Angst, dass sie sich so stark zu ihm hin gezogen fühlte.
Indem sie sich das eingestand, fiel eine schwere Last von ihr ab, und damit verbesserte sich auch schlagartig ihre Stimmung. Sie fühlte sich leicht und beschwingt. Es war, als befänden sich Körper und Geist in völliger Harmonie. Eine wunderbare Erfahrung, die sie das erste Mal machte.
Die Kinder redeten durcheinander und lachten immer noch über Clios verrückten Auftritt.
„Bis nächstes Mal!" rief Jalal und bedeutete ihnen damit , dass für den Abend Schluss war.
Zu Clios Verwunderung kam kein Widerspruch von den Kin
dern. Sie verabschiedeten sich
diszipliniert und sogar mit einer Verneigung und verließen im Vergleich zu ihrem sonstigen stürmischen Verhalten ruhig den Raum. Selbst Donnelly.
„Komm mit, Donnelly. Du musst ins Bett!" rief Rosalie.
„Ja. Gute Nacht, Prinz Jalal."
„Gute Nacht, Donnelly", erwiderte er.
„Sie verneigen sich also vor Prinz Jalal?" meinte Clio, nachdem Ben, der als letzter den Raum verließ, die Tür hinter sic h zugemacht hatte.
„Sich respektvoll vor dem Lehrer zu verneigen gehört zur Dis ziplin eines Kämpfers", antwortete Jalal.
„Ebenso muss man seinen Willen zurückstellen und nach dem rechten Weg trachten, ehe man die Kräfte und Fähigkeiten einsetzt, die man beigebracht bekommen hat."
„Hast du deinen Willen jemals zurückgestellt?" fragte sie und suchte nach einem Halt in dieser für sie fremden Gedankenwelt.
„Nein", erwiderte Jalal leise. „Nein, Clio, entzieh dich mir nicht wieder", hielt er sie zurück, als sie sich zum Gehen wandte.
Die Sonne ging unter und tauchte den Raum in ein weiches, warmes Licht.
„Warum tust du das, Clio?" fragte er. „Warum versuchst du erst, mich zu verführen, und läufst dann vor mir weg, als wäre ich ein Ungeheuer? Warum hast du solche Angst?"
Es war viel zu früh. Sie hatte noch nicht die Zeit gehabt, ihre neuen, überraschenden Gedanken zu ordnen.
Doch Jalal ließ sich nicht beirren und glitt mit der Hand geschickt in die Öffnung ihres Bademantels.
Sie begann am ganzen Körper unkontrolliert zu zittern.
„Was wünschst du dir?" raunte er an ihrem Ohr.
„Ich wünsche mir nichts", antwortete sie und wusste selbst, dass es eine Lüge war.
„Wirklich nicht?" Jalal schaute ihr prüfend in die Augen. „Du bist nicht höflich. Du fragst mich nicht, was ich mir wünsche, Clio."
Sie hielt es für klüger, nichts dazu sagen. Sie wollte sich zwin gen zu gehen. Doch vergebens. Es hätte der Kraft von zehn Pferden bedurft, sie aus dem Raum zu bewegen und aus Jalals Armen zu zerren.
„Was soll jetzt geschehen, Clio? Bei euch muss ich ja erst um Erlaubnis fragen, wenn ich dich küssen möchte. Das gefällt mir aber nicht. Eine Frau weiß doch, was sie will. Warum kann sie da nicht auch den Mann um Erlaubnis bitten? Oder Forderungen an ihn stellen? Warum sollte nur der Mann Verlangen verspüren? Bei mir zu Hause sind die Leute da klüger."
Sie befeuchtete sich die Lippen. Sie hatte kaum auf seine Worte geachtet, dafür umso mehr auf seine Stimme, die verführerisch rau klang und ihr einen Schauer über die Haut sandte. Da wäre es wohl besser, sie würde Jalal nicht antworten. Doch sie konnte sich nicht zurückhalten.
„Frauen können auch Forderungen stellen", sagte sie.
„Dann bitte mich, dass ich dich küsse", verlangte er in einem Tonfall, der atemraubende Empfindungen in ihr weckte.
Clio konnte sich nicht erinnern, etwas Derartiges jemals erfahren zu haben. Sie kam sich vor wie neu geboren, und sie gestand sich ein, dass sie sich nach diesen Gefühlen gesehnt hatte. Und das nicht erst seit gestern.
Die ganze Zeit hielt Jalal sie in den Armen, und sie spürte seine Körperwärme. Eine Hand hatte er auf ihren Rücken gelegt, die andere auf ihre Hüfte, und mit einem leichten Druck seiner Fin ger gab er ihr zu verstehen, dass es eine Kleinigkeit für ihn wäre, ihr kurzes Nachthemd ein paar Zentimeter hochzuschieben, um ihre Schenkel zu entblößen.
Wollte sie das? Sollte sie sich nicht mehr Zeit lassen? Es war alles so neu für sie. Sollte sie es nicht erst überdenken?
„Nein", antwortete sie leise auf seine Aufforderung.
Lächelnd zog Jalal Clio dichter an sich, damit sie seine Hitze spürte und damit, falls sie es immer noch nicht
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