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Der Prinz und der Soeldner

Der Prinz und der Soeldner

Titel: Der Prinz und der Soeldner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Rinnsal aus abfließendem Wasser. Jetzt hatte es nichts Anziehendes an sich, das war sicher. Warum, warum, warum … ?
    Miles schlenderte auf der hohen Seite der Straße entlang, untersuchte die Oberfläche der Straße, das Geländer, den nassen braunen Farnwuchs dahinter. Er kam zu der Kurve und machte kehrt, um die andere Seite zu untersuchen. Er kam wieder am ersten Graben an, an dem der Basis zugewandten Ende der geraden Strecke, ohne dass er irgend etwas entdeckt hätte, das einen Reiz hatte oder Interesse weckte.
    Miles hockte sich auf das Geländer und dachte nach. Na schön, jetzt war der richtige Zeitpunkt, um es mit ein bisschen Logik zu versuchen. Welche überwältigende Emotion hatte den Soldaten dazu veranlasst, sich trotz der offensichtlichen Gefahr in das Abwasserrohr zu klemmen? Wut? Wen hatte er verfolgt? Angst? Wer konnte ihn verfolgt haben? Irrtum? Miles wusste Bescheid über Irrtümer. Wie, wenn der Mann sich den falschen Durchlass ausgesucht hatte …?
    Einem Impuls folgend schlitterte Miles in den ersten Graben hinab. Entweder hatte der Mann seinen Weg systematisch durch alle Durchlässe gemacht – falls ja, hatte er dann vorwärts von der Basis aus begonnen oder rückwärts von dem Trainingsgelände? – oder aber er hatte sein beabsichtigtes Ziel in der Dunkelheit und im Regen verfehlt und war in den falschen geraten.
    Miles hätte sie alle durchkrabbelt, wenn es nötig gewesen wäre, aber er zog es vor, schon beim ersten auf den richtigen zu treffen. Selbst wenn niemand ihn beobachtete. Dieser Durchlass war ein wenig weiter als der zweite, der tödliche. Miles zog sein Handlicht aus dem Gürtel, ging geduckt hinein und begann Zentimeter um Zentimeter zu untersuchen.
     
    »Aha«, atmete er auf halbem Wege unter der Straße befriedigt auf. Da war seine Beute, mit einem Klebeband an der Oberseite des Durchlassbogens befestigt. Ein Päckchen, in wasserfestes Plastik gewickelt. Wie interessant. Er rutschte hinaus und setzte sich am Ausgang des Durchlasses nieder, ohne auf die Feuchtigkeit zu achten, aber sorgsam darauf bedacht, dass ihn niemand von oben, von der Straße her, sah.
    Er platzierte das Päckchen in seinem Schoß und studierte es mit wohliger Vorfreude, als wäre es ein Geburtstagsgeschenk. Was konnte das sein? Drogen, Schmuggelware, geheime Dokumente, schmutziges Geld?
    Miles persönlich hoffte, es wären geheime Dokumente, obwohl er sich schwer vorstellen konnte, dass irgend jemand irgendwas auf Kyril für geheim erklären würde, außer vielleicht die Leistungsberichte.
    Drogen wären schon gut, aber ein Spionagering wäre geradezu wunderbar. Dann würde aus ihm ein Held der Sicherheit – sein Geist eilte schon voran, dachte sich schon die nächsten Maßnahmen bei seinen verdeckten Ermittlungen aus. Aufgrund subtiler Hinweise den Spuren des Toten zu einem Rädelsführer zu folgen, der wer weiß wie hoch oben in der Hierarchie saß? Die dramatischen Verhaftungen, vielleicht ein Lob von Simon Illyan selbst … Das Päckchen war klumpig, raschelte aber leicht – Plastikfolien? Sein Herz klopfte, als er es vorsichtig öffnete – und dann folgten Verblüffung und Enttäuschung. Ein gequälter Laut, halb Lachen, halb Stöhnen, kam von seinen Lippen.
    Gebäck. Ein paar Dutzend Lisetten, eine Art Miniaturdampfnudeln, glasiert und mit kandierten Früchten gefüllt, traditionell wurden sie für die Feier des Mittsommertages hergestellt. Gebäck, das anderthalb Monate alt war. Was für ein triftiger Grund, um dafür zu sterben …
    Miles Phantasie, angeregt von seiner Kenntnis des Kasernenlebens, konnte den Rest leicht genug ergänzen. Der Soldat hatte das Päckchen von der Freundin/Mutter/Schwester bekommen und versuchte, es vor seinen gefräßigen Kameraden zu schützen, die alles binnen Sekunden verschlungen hätten. Vielleicht hatte der Mann, nach Leckerbissen von zu Hause lechzend, sie sich Stück um Stück rationiert in einem sehnsüchtigen, masochistischen Ritual, bei dem Genuss und Schmerz in jedem Bissen gemischt waren. Oder vielleicht hatte er sie nur für irgendeinen besonderen Anlass aufgehoben.
    Dann kamen die zwei Tage mit ungewöhnlich heftigem Regen, und der Mann hatte begonnen, den … hm … Wasserstand bei seinem geheimen Schatz zu fürchten. Er war herausgekommen, um seine versteckten Vorräte zu retten, hatte im Dunkeln den ersten Graben verfehlt, war – als das Wasser stieg – mit äußerster Entschlossenheit in den zweiten hinabgestiegen, hatte seinen Fehler zu

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