Der Prinz und der Soeldner
Recorder: Keine Knochenbrüche, keine Blasen von Nervendisruptorfeuer.
Vorläufige Hypothese: Tod durch Ertrinken oder Unterkühlung oder beides, innerhalb der letzten zwölf Stunden. Er schaltete seinen Recorder aus und fügte, über die Schulter gewandt, hinzu: »Sicher werde ich es erst sagen können, wenn wir ihn im Lazarett aufgebahrt haben.«
»Passiert so etwas hier oft?«, erkundigte sich Miles behutsam.
Der Arzt warf ihm einen säuerlichen Blick zu. »Ich schicke jedes Jahr ein paar Idioten ins Leichenschauhaus. Was erwarten Sie denn, wenn man fünftausend Kinder zwischen achtzehn und zwanzig Jahren zusammen auf eine Insel schickt und ihnen sagt, sie sollten Krieg spielen? Ich gebe zu, der hier scheint eine völlig neue Methode entdeckt zu haben, um sich ins Leichenschauhaus zu bringen. Anscheinend gibt es immer wieder etwas, das man noch nicht gesehen hat.«
»Sie glauben also, er hat sich das selbst angetan?« Es wäre allerdings wirklich umständlich, einen Mann umzubringen und dann da hineinzustecken.
Der Sanitätsoffizier ging zu dem Durchlass hinüber, kauerte sich nieder und starrte hinein. »Das darf man wohl annehmen. Ach, würden Sie noch mal einen Blick hineinwerfen, Fähnrich, für alle Fälle?«
»Jawohl, Sir.«
Miles hoffte, dass dies sein letzter Ausflug in das Abflussrohr war. Er wäre nie darauf gekommen, dass das Reinigen der Kanalisation sich als ein solcher Nervenkitzel erweisen würde. Er rutschte die ganze Strecke unter der Straße hindurch bis zu dem undichten Plastikschild und überprüfte dabei jeden Zentimeter, fand aber nur das Handlicht des Toten, das auf den Boden gefallen war. Also war der Soldat offensichtlich vorsätzlich in das Rohr gekrochen. Mit Absicht. Welche Absicht? Warum kriecht einer mitten in der Nacht bei heftigem Regen in ein Abflussrohr? Miles kroch wieder heraus und übergab dem Arzt das Licht.
Er half dem Arzt und dem Sanitäter, die Leiche in dem Sack zu verstauen und aufzuladen, dann ließ er Olney und Pattas das blockierende Schild wieder hochholen und an seinen ursprünglichen Platz zurückbringen. Braunes Wasser strömte rauschend aus dem unteren Ende des Durchlasses und floss den Graben entlang davon. Der Arzt blieb neben Miles stehen, lehnte sich über das Straßengeländer und beobachtete, wie das Wasser in dem kleinen See sank.
»Glauben Sie, dass da auf dem Grund noch ein anderer liegen könnte?«, forschte Miles mit geheimem Schauder.
»Beim Morgenappell wurde nur er als vermisst gemeldet«, erwiderte der Arzt, »also wird vermutlich kein anderer mehr dort liegen.« Er sah allerdings dabei nicht so aus, als würde er darauf wetten.
Das einzige, was auftauchte, als der Wasserspiegel sank, war der durchnässte Parka des Soldaten. Er hatte ihn offensichtlich auf das Geländer geworfen, bevor er in den Durchlass gekrochen war, und von dort war er ins Wasser gefallen oder geweht worden. Der Sanitätsoffizier nahm ihn an sich.
»Sie nehmen das ganz schön cool«, bemerkte Pattas, als Miles sich von dem Sanitätswagen abwandte und der Arzt und der Sanitäter wegfuhren.
Pattas war nicht viel älter als Miles selbst.
»Haben Sie noch nie eine Leiche anfassen müssen?«
»Nein. Sie?«
»Ja.«
»Wo?«
Miles zögerte. Erinnerungen an Ereignisse, die sich vor drei Jahren zugetragen hatten, blitzten in seinem Gedächtnis auf. Die wenigen Monate, in denen er in einen verzweifelten Kampf fern der Heimat verwickelt gewesen war, nachdem er sich zufällig einer Truppe von Weltraumsöldnern angeschlossen hatte, waren ein Geheimnis, das er hier nicht erwähnen, ja nicht einmal andeuten durfte.
Die regulären kaiserlichen Truppen verachteten Söldner sowieso, ob lebendig oder tot. Aber die Tau-Verde-Kampagne hatte ihn sicherlich den Unterschied zwischen ›Übung‹ und ›Wirklichkeit‹ gelehrt, zwischen Kriegsspiel und Krieg, und dass der Tod subtilere Ansteckungswege hatte als nur die direkte Berührung.
»Früher«, sagte Miles zurückhaltend, »ein paarmal.«
Pattas zuckte die Achseln. »Nun ja«, gab er widerwillig zu, »zumindest haben Sie keine Angst, sich Ihre Hände schmutzig zu machen, Sir.«
Miles runzelte nachdenklich die Stirn. Nein. Davor habe ich keine Angst.
Miles markierte den Bachdurchlass auf seinem Berichtspanel als ›gereinigt‹, lieferte das Scatcat, die Geräte sowie Olney und Pattas, die sehr kleinlaut geworden waren, wieder bei Sergeant Neuve in der Wartungsabteilung ab und machte sich dann auf den Weg zu den
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