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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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zwischen den Flammen. Gewöhnlich trug er eine schlichte gelbe Soutane, die er – wie Serwë Achamian einmal erzählte – im Lager des Sapatishah auf den Ebenen von Mengedda erplündert hatte. Und sei es aufgrund seiner Körperhaltung, seines Auftretens oder auch nur wegen der Beleuchtung: Er wirkte stets seltsam überirdisch, ja auratisch.
    Ohne dass er genau hätte sagen können, warum, folgte Achamian eines Abends Esmenet und Kellhus mit einer Kerze, seinen Schreibutensilien und einem Bündel Pergament. Tags zuvor hatte Kellhus über Vertrauen und Verrat gesprochen und die Geschichte eines Fallenstellers aus der Einöde nördlich von Atrithau erzählt, den er gekannt habe. Dieser Mann sei seiner toten Ehefrau treu geblieben, indem er seinen Hunden eine herzzerreißende Liebe entgegengebracht habe. »Wenn eine Liebe stirbt«, hatte er gesagt, »muss man sich eine neue Liebe suchen.« Esmenet hatte freiheraus geweint.
    Solche Worte musste man einfach zu Papier bringen!
    Achamian und Esmenet entrollten ihre Matte links von Kellhus’ Tribüne. Auf dem kleinen Feld waren Fackeln in die Erde gerammt. Es herrschte zwar eine gesellige, aber auch gedämpfte Atmosphäre, die zwischen Achtung und Ehrfurcht angesiedelt war. Achamian entdeckte in der Menge ziemlich viele bekannte Gesichter. Mehrere hohe Adlige waren anwesend, darunter auch ein Mann mit ausgeprägtem Unterkiefer, der den blauen Mantel eines Generals der Nansur trug – General Sompas oder Martemus, wie der Hexenmeister annahm.
    Selbst Proyas saß mit den anderen im Staub, schien aber beunruhigt zu sein und erwiderte Achamians Blick nicht, sondern sah weg.
    Kellhus setzte sich auf seinen üblichen Platz zwischen den Kohlenbecken. Die daraufhin einsetzende Stille britzelte vor Erwartung. Einige Augenblicke lang schien Kellhus schier unerträglich wirklich – als wäre er der einzige Mensch aus Fleisch und Blut in einer Welt flüchtiger Erscheinungen.
    Er lächelte, und Achamians Brust, die eben noch hart gewesen war wie vertrocknetes Leder, entspannte sich so sehr, dass sie ihm nun fast aufgeweicht vorkam. Eine unerklärliche Erleichterung erfüllte ihn. Er atmete tief durch, tunkte seine Feder ein und fluchte, weil er sofort einen Klecks aufs Pergament machte.
    »Akka!«, rügte ihn Esmenet.
    Wie stets musterte Kellhus die Gesichter derer, die vor ihm saßen, und seine Augen glänzten vor Mitgefühl. Dann ließ er den Blick auf einem Mann ruhen, der – seiner Tunika und dem Gewicht seiner Goldringe nach – ein Ritter aus Conriya war. Ansonsten sah er abgehärmt aus, als schliefe er noch immer auf dem Schlachtfeld. Sein Bart war voller Zöpfe, die sich selbst überlassen schienen.
    »Was ist geschehen?«, fragte Kellhus.
    Der namenlose Ritter lächelte, doch in seiner Miene lag eine seltsame, kaum wahrnehmbare Unstimmigkeit, die der Irritation nicht unähnlich war, die man empfindet, wenn das Weiß der Augen und das Gelb der Zähne einen allzu starken Kontrast bilden.
    »Vor drei Tagen«, sagte der Mann, »hat unser Gebieter gerüchtweise von einem Dorf erfahren, das ein paar Meilen westlich liegt. Also ritten wir los und hofften auf Beute…«
    Kellhus nickte. »Und was habt ihr gefunden?«
    »Nichts… Ich meine, kein Dorf. Unser Gebieter war außer sich. Er behauptet, die anderen…«
    »Was habt ihr gefunden?«
    Der Mann blinzelte. Panik blitzte aus seinem eben noch so müde und stoisch wirkenden Gesicht. »Ein Kind«, sagte er heiser. »Ein totes Kind… Wir folgten einem wohl von Ziegenhirten getrampelten Pfad über einen Hang, und da lag plötzlich ein totes Kind auf dem Weg, ein Mädchen, nicht älter als fünf oder sechs. Mit durchschnittener Kehle…«
    »Und was geschah dann?«
    »Nichts… Ich meine, wir haben sie einfach nicht beachtet und ritten weiter, als wäre sie nur ein abgelegtes Kleidungsstück… ein Fetzen Leder im Staub«, fügte er mit versagender Stimme hinzu und sah auf seine schwieligen Hände herunter.
    »Schuld und Scham«, sagte Kellhus, »quälen dich tagsüber, das Gefühl, eine Todsünde begangen zu haben. Und nachts suchen dich Alpträume heim… Sie spricht zu dir.«
    Das verzweifelte Nicken des Mannes wirkte beinahe komisch. Achamian begriff, dass dieser Ritter für den Krieg ganz und gar nicht geschaffen war.
    »Aber warum ausgerechnet sie?«, rief der Ritter nun. »Wir haben doch schon so viele Tote gesehen?«
    »Aber nicht alles Sehen macht uns zu Zeugen«, sagte Kellhus.
    »Das versteh ich nicht…«
    »Zeugen sind

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