Der Prinz von Atrithau
besorgten und doch leuchtenden Augen. »Wie wir es bei unserem Heiligen Krieg mit Shimeh tun.«
»Nein«, entgegnete Cnaiür. »Um den Übeltäter zu töten.«
Proyas warf ihm einen beunruhigten Blick zu und sah weg. In einem bekennerischen Ton, den Cnaiür verweichlicht fand, sagte der Prinz: »Du gefällst mir viel besser, Scylvendi, wenn ich vergesse, wer du bist.«
Doch Cnaiür hatte sich abgewandt und ließ den Blick übers Südufer schweifen, wo er noch mehr Männer entdeckte, die ihn töten würden, wenn sie könnten. Woran Proyas sich erinnern und was er vergessen haben mochte, war ihm gleich. Er war, der er war.
Ich bin ein Scylvendi!
In einer langen Reihe treibender Boote kam die Flotte der Inrithi in den ersten Deltakanal. Cnaiür fragte sich unwillkürlich, was Skauras denken würde, wenn seine Beobachter ihm berichteten, dass sie den Heiligen Krieg aus den Augen verloren hatten. Hatte er das vorhergesehen? Oder bloß befürchtet? Inzwischen gingen die Kriegsschiffe des Kaisers entlang der südlichsten schiffbaren Kanäle auf Position. Der Sapatishah würde bald genug erfahren, wo der Heilige Krieg zu landen beabsichtigte.
Tatsächlich wurden sie nur von Stechmücken belästigt. Am Morgen und auch am Nachmittag herrschte das, was kurz vor einer Schlacht typisch war: die trügerische Ruhe vor dem Sturm. Irgendwie wirkte die Luft bleiern, jeder Augenblick schien tonnenschwer, und eine unruhige und unvergleichliche Langeweile lag wie eine stets schwerer werdende Last auf ihnen und ließ den Nacken steif werden und den Kopf schmerzen. Egal, welche Angst sie am Morgen noch gehabt hatten: Jetzt sehnten sie sich alle nach der Schlacht, als wäre die Aussicht auf Gewalt viel belastender als die Gewalt selbst.
Die Nacht verging unbehaglich und im Fieber des Halbschlafs.
Gegen Mittag erreichten sie dann die Brackwassersümpfe, ein dunkelgrünes Schilfmeer, das sich bis zum Horizont erstreckte. Unvermittelt hob sich der Schleier der Trägheit, und Cnaiür spürte plötzlich eine Raserei, die der des Angreifens ähnelte. Er watete mit den anderen durch den Morast, zog den Kahn so weit wie möglich voran und hieb mit dem Schwert auf den hoch aufragenden Papyrus ein. Bald war er nur noch einer von Tausenden, die sich vorwärts kämpften und das Schilf auf breiter Front niedermähten. Schließlich schlugen sie Schneisen zum festen Boden des Südufers hinüber. Mit Proyas, Kellhus, Ingiaban und einer Ritterschar arbeitete Cnaiür sich weiter voran, um zu sehen, was sie erwartete. Wie immer setzte ihm die Anwesenheit des Dûnyain so zu, als drohte ihm aus dem toten Winkel ein lebensgefährlicher Angriff.
Im Osten sahen sie die ferne Brandung des Meneanor-Meers. Vor ihnen, also Richtung Süden, stieg das Land in steinigen Wellen zu einem Durcheinander eisenfarbiger Hügel an. Im Westen lagen ausgedehnte Weiden, die zerfurcht waren wie eine Denkerstirn und am Horizont in dunkle Obstgärten übergingen. Auf einem einsamen Hügel entdeckten sie – im Dunst kaum erkennbar – die gedrungenen Wälle von Anwurat. Kleine Reitertrupps trabten davor, wie man aus der Ferne erkennen konnte, doch sonst war nichts zu sehen.
Skauras hatte ihnen das Südufer überlassen. Wie Cnaiür es vorhergesagt hatte.
Proyas heulte förmlich vor Freude.
»Diese Dummköpfe!«, rief Ingiaban. »Diese Dummköpfe!«
Cnaiür ignorierte die Beifallsstürme und warf Kellhus einen Seitenblick zu. Er war nicht weiter überrascht, ihn beobachten und nachdenken zu sehen, und wusste genau, was dem Dûnyain durch den Kopf ging.
Dass es zu einfach gewesen war.
Der Heilige Krieg verbrachte den ganzen Nachmittag damit, aus dem Sumpf zu stapfen. Die meisten schlugen ihr Zelt im schwindenden Licht der Dämmerung auf. Cnaiür hörte die Inrithi singen und spottete wie stets darüber. Er sah sie kniend beten und sich um ihre Priester und Götzenbilder scharen. Er hörte ihrem Lachen und Toben zu und wunderte sich, dass ihre Heiterkeit echt und nicht gezwungen klang, wie es am Vorabend der Schlacht doch sein sollte. Krieg war ihnen schließlich nicht heilig. Krieg war für sie ein Mittel, kein Ziel. Ein Pfad zu ihrer Bestimmung.
Nach Shimeh.
Doch die Dunkelheit erstickte ihre Feierlaune. Im Süden und Westen funkelte der Horizont vor Lichtern, als hätte man Glut über eine blaue Wolldecke getreten. Das waren die unzähligen Lagerfeuer der Kianene – der Krieger mit dem ledernen Herzen. Ihr Trommeln drang die Hänge herunter.
Im Rat der Hohen und
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