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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Boden strahlte Wärme ab wie ein vom Herd gezogener Stein. Im Osten ragten dürre Hügel auf und verdeckten den Blick aufs Meer. Im Süden und Westen bildete der Horizont jenseits des Lagergetümmels eine perfekte Linie aus Tonschiefer, der immer röter wurde, je tiefer die Sonne sank. Im Norden war Shigek noch immer zwischen den Zelten zu sehen, obwohl sein Grün sich in der Dämmerung langsam in Schwarz verwandelte.
    Serwë döste schon zusammengerollt auf ihrer Matte am kleinen Lagerfeuer.
    »Na, wie war dein Marsch, Esmi?«, fragte Kellhus.
    »Tut mir leid«, sagte sie betreten. »Ich…«
    »Du musst dich nicht entschuldigen. Du gehst den Weg, den du für richtig hältst.«
    Sie sah zu Boden und fühlte sich zugleich erleichtert und tieftraurig.
    »Also?«, wiederholte Kellhus. »Wie war dein Marsch?«
    »Männer«, sagte sie schwerfällig. »Zu viele Männer.«
    »Und du willst eine Hure sein«, meinte Kellhus grinsend.
    Esmenet sah weiter auf ihre staubigen Füße. Ein schüchternes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht.
    »Die Dinge ändern sich…«
    »Mag sein«, sagte er, und sein Ton erinnerte an eine Axt, die ins Holz fährt. »Hast du dich je gefragt, warum die Götter Männer für wichtiger halten als Frauen?«
    Esmenet zuckte die Achseln. »Wir stehen im Schatten der Männer«, antwortete sie, »und die Männer stehen im Schatten der Götter.«
    »Du findest also, dass du im Schatten der Männer stehst?«
    Sie lächelte. Kellhus konnte man nicht täuschen – egal, wie belanglos die Dinge waren. Das war das Erstaunliche an ihm.
    »Im Schatten einiger Männer, ja…«
    »Aber nicht im Schatten von vielen?«
    Sie lachte, denn er hatte sie bei einer Überheblichkeit ertappt. »Ganz und gar nicht«, stellte sie fest. Nicht mal im Schatten von Akka, wie sie plötzlich erkannte.
    Nur in deinem.
    »Und die anderen Männer? Sind nicht alle irgendwie überschattet?«
    »Doch, das nehme ich an…«
    Kellhus kehrte die Handflächen nach oben, was eine seltsam entwaffnende Geste war. »Und warum bist du weniger wert als ein Mann?«
    Esmenet lachte erneut und war überzeugt, dass er ein Spiel spielte. »Weil Frauen überall, wo ich gewesen bin, Männern dienen – und nicht nur dort, sondern an jedem Ort, von dem ich je gehört habe. So ist das einfach. Die meisten Frauen sind wie…« Von ihrem Gedankengang beunruhigt, verstummte sie und blickte Serwë an, deren ebenmäßiges Gesicht vom flackernden Schein des Lagerfeuers beleuchtet wurde.
    »… wie sie«, ergänzte Kellhus.
    »Ja«, antwortete sie und blickte in seltsamer Abwehr zu Boden. »Wie sie. Die meisten Frauen sind sehr schlicht gestrickt.«
    »Und die meisten Männer?«
    »Na, unter den Männern gibt es wenigstens gut Ausgebildete, welche, die gelehrt sind, womöglich sogar weise.«
    »Und ist das so, weil sie mehr wert sind als Frauen?«
    Esmenet sah ihn verblüfft an.
    »Oder weil Männern in dieser Welt mehr zugestanden wird?«, fuhr er fort.
    Sie sah ihn noch immer verdutzt an. In ihrem Kopf arbeitete es. Dann atmete sie tief durch und legte die Hände behutsam auf die Knie. »Willst du damit sagen, dass Frauen Männern tatsächlich ebenbürtig sind?«
    Kellhus zog die Brauen so gequält wie amüsiert nach oben. »Warum wollen Männer wohl gegen Gold mit Frauen ins Bett?«
    »Weil sie uns begehren.«
    »Und ist es Männern erlaubt, sich dieses Vergnügen zu kaufen?«
    »Nein.«
    »Warum tun sie es dann?«
    »Weil sie nicht anders können«, entgegnete Esmenet und zog traurig die Brauen hoch. »Sie sind eben Männer.«
    »Also können sie ihre Lust nicht kontrollieren?«
    Sie lächelte auf ihre eigentümliche Art. »Du siehst ja, wie gut genährt die Hure ist, die dir gegenübersitzt.«
    Kellhus lachte leise und so, dass er ihrem Humor wie von selbst die schmerzlichen Untertöne nahm.
    »Und warum halten Männer Vieh?«, fragte er.
    »Vieh?«, fragte Esmenet und runzelte die Stirn. Woher kamen nur all diese absurden Gedanken? »Na, um es zu schlachten und…«
    Plötzlich begriff sie, worauf er hinauswollte, verstummte und bekam eine Gänsehaut. Wieder mal saß sie im Schatten, und die schwächer werdende Sonne fiel allein auf Kellhus, was ihn wie einen Götzen aus Bronze aussehen ließ. Stets schien es, als würde die Sonne erst ganz zuletzt von ihm lassen.
    »Männer«, so Kellhus, »können ihren Hunger nicht beherrschen. Also beherrschen und domestizieren sie, worauf ihr Hunger sich richtet – ob Vieh…«
    »… oder Frauen«, ergänzte

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