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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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konnte am Schimmern ihrer Augen und am Klang ihrer Stimmen den ersten Anflug von Ehrfurcht erkennen.
    Das Wunder, das Menschen unbedeutend werden ließ.
    Der Häuptling kannte die Wirkung dieses Wunders nur allzu gut. Kellhus dabei zuzusehen, wie er die Männer manipulierte, bedeutete, einmal mehr der eigenen Schandtat innezuwerden, zu der Moënghus ihn damals verleitet hatte. Manchmal drohte ihn das Verlangen zu überwältigen, warnend aufzuschreien. Manchmal empfand er Kellhus als so abscheulich, dass ihm das Gefühl für die tiefe Kluft zwischen Scylvendi und Inrithi abhanden zu kommen drohte – besonders, wenn er sich Proyas ansah. Moënghus hatte sich damals genau jene Schwächen und Verblendungen zu Nutze gemacht, die nun Proyas im Übermaß aufwies… Wenn Cnaiür all diese Schwächen (wie abgemildert auch immer) mit diesen Männern teilte: War er dann noch anders als sie?
    Blieb ein Verbrechen womöglich auch dann ein Verbrechen, wenn das Opfer der Tat lächerlich war?
    Diese Frage stellte Cnaiür sich freilich nur selten. Größtenteils schaute er dem Treiben mit eigenartig gefühlloser Ungläubigkeit zu. Er achtete kaum mehr auf das, was Kellhus redete, sondern beobachtete seine Gesten, die ihn an das Tun eines Steinmetzen erinnerten, der aus einem Felsblock eine Figur erschafft. Zugleich aber hatte er den Eindruck, Kellhus zertrümmerte den gläsernen Leib der Sprache und modelte ihre Splitter zu Messern um. Cnaiür spürte, dass der Dûnyain seine Zuhörer mitunter nur erzürnte, um ihr Ohr und ihre Herzen ein paar Sätze darauf um so sicherer zu gewinnen; dass er sie manchmal nur deshalb mit einem strafenden Blick verlegen machte, um ihnen an anderer Stelle durch ein Lächeln ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln; dass er ihnen bisweilen eine altbekannte Einsicht vor Augen rückte, um sie alsdann mit Wahrheiten zu bestürmen, die verletzen, heilen oder in Erstaunen setzen mochten.
    Wie leicht musste es für Moënghus gewesen sein! Der hatte es damals ja nur mit einem Grünschnabel und einer Häuptlingsfrau zu tun gehabt!
    Wuchtige und doch eigenartig kühle Erinnerungen bestürmten ihn. Er sah die anderen Frauen seine Mutter an den Haaren ziehen, ihr Gesicht zerkratzen, Steine nach ihr werfen, mit Stöcken auf sie einschlagen, ein brüllendes Kind – seinen blonden Halbbruder – aus ihrem Zelt zerren und ins Feuer werfen. Und er sah die Männer mit versteinerten Gesichtern seinem Blick ausweichen…
    Wie konnte er Vergleichbares erneut geschehen lassen? Wie konnte er dabeistehen und zuschauen?
    Noch immer kauerte er neben Serwë, merkte nun aber erschrocken, dass er die ganze Zeit mit dem Messer auf den Boden eingestochen hatte. Dabei war die knochenweiße Matte kaputtgegangen, und ihr Schilf lag jetzt zerbrochen um eine kleine schwarze Grube herum.
    Er schüttelte seine schwarze Mähne und atmete so wütend ein, als wollte er die Luft strafen. Immer diese Gedanken. Immer!
    Erbarmen? Fremden gegenüber? Mitleid mit wimmernden Gecken? Allen voran mit Proyas?
    »Solange das Vergangene verhüllt bleibt«, hatte Kellhus auf ihrer Reise durch die Steppe Jiünati gesagt, »und die Menschen ohnehin einer Täuschung aufgesessen sind, spielt das alles sowieso keine Rolle.« Und was machte es schon, Narren zum Narren zu halten? Es kam einzig und allein darauf an, ob Kellhus auch ihn zum Narren hielt! Sagte der Dûnyain die Wahrheit? War er wirklich ausgesandt, seinen Vater zu töten?
    Ich bin mit dem Wirbelwind unterwegs!
    Cnaiür durfte nie vergessen, was geschehen war, denn nur sein Hass schützte ihn vor Kellhus.
    Und Serwë?
    Die Stimmen draußen waren verstummt. Er hörte, wie der dumme Hexenmeister sich die Nase putzte. Dann schob Kellhus sich durch den Eingang ins halbdunkle Zelt. Sein Blick huschte über Serwë und das Messer zu Cnaiürs Gesicht.
    »Du hast zugehört«, stellte er in makellosem Scylvendisch fest. Ihn so sprechen zu hören, jagte Cnaiür selbst nach so langer Zeit noch einen leichten Schauer über den Rücken.
    »Das ist ein Feldlager«, sagte er. »Viele haben zugehört.«
    »Nein, sie haben geschlafen.«
    Cnaiür kannte den Dûnyain und wusste, dass Debatten mit ihm sinnlos waren. Also schwieg er und wühlte in seinen verstreuten Sachen nach seiner Hose.
    Serwë beschwerte sich im Halbschlaf über die Unruhe, die er verbreitete, und strampelte ein wenig unter ihren Decken.
    »Erinnerst du dich noch, wie wir uns das erste Mal in deinem Zelt unterhalten haben?«, fragte

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