Der Prinz von Atrithau
Bemerkung war, wie Kellhus sofort erkannte, dass es sich nicht um einen Witz handelte: Das Wesen hatte sie wie ein Hund aufgespürt. Er musste bei diesen Kreaturen extrem vorsichtig sein. Noch hatte er keinen Begriff von ihren Fähigkeiten. Kennst du diese Wesen, Vater?
Alles hatte sich verändert, seit er Drusas Achamian zum Lehrer genommen hatte. Er wusste jetzt, dass diese Welt seinen Brüdern sehr viele Geheimnisse vorenthalten hatte. Der Logos blieb gültig, doch seine Wege waren viel verschlungener und atemberaubender, als die Dûnyain es sich vorgestellt hatten. Und das Absolute… das Ende aller Dinge war weiter weg, als sie es sich je ausgemalt hatten. Wie viele Hindernisse es gab! Und wie oft der Pfad sich verzweigte!
Trotz seiner anfänglichen Skepsis hatte Kellhus schließlich vieles von dem geglaubt, was Achamian bei ihren Diskussionen behauptet hatte. Er glaubte die Geschichten über die Erste Apokalypse und er glaubte, dass das gesichtslose Wesen vor ihm eine Schöpfung der Rathgeber war. Aber die Prophezeiung des Celmomas und das Nahen einer Zweiten Apokalypse? So etwas war absurd. Per definitionem konnte die Zukunft die Gegenwart nicht vorwegnehmen. Das Nachher konnte nicht vorher kommen.
Oder etwa doch?
Es gab so viele Fragen, die er erst seinem Vater würde stellen können…
Sein Unwissen hatte fast schon zu einer Katastrophe geführt. Der bloße Blickwechsel im Privatgarten des Kaisers hatte eine Reihe kleiner Katastrophen ausgelöst, zu denen auch der Vorfall unter den Andiamin-Höhen gehörte, der Achamian davon überzeugt hatte, dass Kellhus tatsächlich der Vorbote war. Sollte er beschließen, seinem Orden mitzuteilen, dass ein Anasûrimbor zurückgekehrt war…
Auch Achamian kann mir gefährlich werden, überlegte Kellhus.
Der Hexenmeister musste unwissend bleiben – so viel war klar. Wenn er wüsste, dass Kellhus die Hautkundschafter, die ihm so viel Angst machten, mühelos erkennen konnte, würde er seine Meister in Atyersus sofort kontaktieren. Es hing ungemein viel davon ab, dass der Hexenmeister seinem Orden entfremdet blieb – und damit isoliert.
Also musste Kellhus sich diesen Dingen allein stellen.
»Mein Berater schwört«, sagte Saubon gerade zum Tempelritter, »nur Hexerei habe dich hierher führen können… Kussalt hält sich nämlich für den besten Fährtenleser weit und breit.«
Wussten die Rathgeber etwa, dass er Skeaös am Hofe des Kaisers entlarvt hatte? Der Kaiser hatte beobachtet, wie er seinen Obersten Berater unter die Lupe genommen hatte, und sich – weit wichtiger – daran erinnert. Mehrmals schon waren Kellhus kaiserliche Kundschafter aufgefallen, die ihn aus sicherer Entfernung beobachtet und verfolgt hatten. Vielleicht wussten die Rathgeber ja, wie Skeaös entlarvt worden war. Eigentlich war das gar nicht unwahrscheinlich.
Wenn sie es tatsächlich wussten, konnte das Auftauchen von Sarcellus sehr wohl ein Test sein. Sie müssten herausfinden, ob die Entlarvung von Skeaös eine zufällige Folge von Xerius’ Verfolgungswahn war, oder ob der Fremde aus Atrithau ihn irgendwie durchschaut hatte. Sie würden ihn beobachten und diskrete Fragen stellen, und wenn das keine Antwort brächte, würden sie Kontakt aufnehmen.
Oder etwa nicht?
Aber er durfte auch Achamian nicht vernachlässigen. Zweifellos würden die Rathgeber die Mandati scharf im Auge behalten, denn nur sie glaubten schließlich noch an ihre Existenz. Sarcellus und Achamian waren sich schon mal begegnet – sowohl direkt, wie der Reaktion des Hexenmeisters zu entnehmen war, als auch indirekt, über Esmenet nämlich, die von Sarcellus offenbar früher einmal verführt worden war. Die Rathgeber brauchten Esmenet aus irgendeinem Grund. Vielleicht prüften sie sie ja und loteten ihre Begabung für Täuschung und Verrat aus. Jedenfalls hatte sie Achamian nichts von Sarcellus erzählt – so viel war klar.
Diese Untersuchung geht wirklich ungemein in die Tiefe, Vater.
Tausend Möglichkeiten galoppierten über die weglose Steppe der Zukunft. Hundert Szenarien geisterten durch seine Seele, von denen einige sich immer weiter verzweigten und letztlich von seinen Zielen abkamen, während andere geradewegs in einer Katastrophe mündeten.
Vor seinem inneren Auge zeichneten sich drei grundsätzliche Handlungsmöglichkeiten ab:
Die direkte Auseinandersetzung: Das hieß, vor den Hohen Herren Anklage zu erheben und Anerkennung dafür einzuheimsen, den Schrecken im eigenen Lager entlarvt zu haben. Das
Weitere Kostenlose Bücher