Der Prinz von Atrithau
etwa vierzig- bis fünfzigtausend Galeoth und knapp neuntausend Tempelritter, vom Tross mit seinen vielen tausend Menschen einmal abgesehen. Und sie waren auf sich allein gestellt, also in einem fremden Land ihrem Schicksal überlassen und auf dem besten Wege, in die Fänge eines rücksichtslosen, schlauen und entschlossenen Feindes zu geraten. Gothyelk und seine Tydonni waren verloren. Proyas und Conphas lagerten noch immer vor der Festung Asgilioch. Die Galeoth waren zahlenmäßig weit unterlegen, wenn Conphas (wie Gotian versicherte) die Stärke von Skauras richtig eingeschätzt hatte. Sie hatten keine echte Disziplin, keinen echten Anführer. Und sie hatten keine Hexenmeister. Keine Scharlachspitzen.
Aber er hat doch gesagt, das Schicksal meine es gut mit mir … Das hat er doch gesagt!
Saubon wunderte sich, dass dort unten noch immer einträchtig »Akirea im Val!« gerufen wurde. Auf diesem Kriegszug hatte es bisher meist ein wüstes Durcheinander von Sprechchören und Chorälen gegeben. Etwas musste seine Leute angestachelt haben. Erneut musterte er die von so vielen Männern aufgewirbelte Staubwolke und suchte nach seinem Berater Kussalt.
Bitte…
Da kam er ja mit einem kleinen Trupp angeritten! Saubon atmete seufzend aus und zitterte dabei kurz. Dann sah er die Männer zwischen jubelnden Soldaten durchziehen, bei denen es sich – dem Aussehen ihrer tränenförmigen Schilde nach zu urteilen – um Agmundrmänner handelte. Schließlich erklommen sie den Schotterhang, um ihn zu treffen. Seine Erleichterung löste sich schnell in Luft auf, als er erkennen musste, dass sie Lanzen dabeihatten, auf die Köpfe gespießt waren.
»Akirea im Val pa Valsa!«
Saubon ballte die Faust und schlug sie auf seinen rechten Oberschenkel. Dann rieb er sich mit Daumen und Zeigefinger die Lider, um eine plötzliche Erinnerung an Prinz Kellhus loszuwerden.
Niemand kennt dich.
Lanzen! Sie hatten Lanzen dabei! So wiesen die Ritter aus Galeoth ihre Befehlshaber traditionell auf eine unmittelbar bevorstehende Schlacht hin.
»Von Athjeäri?«, rief er, als Kussalts Pferd den Kamm erreichte.
Der alte Berater blickte finster, als wollte er fragen: Von wem sonst? Alles an ihm wirkte düster: sein Kettenhemd, sein alter, verbeulter Helm und sogar der rote Löwe auf blauem Grund, den er auf dem Umhang trug und der ihn als Mitglied des Hauses Coithus auswies. Düster wirkte das alles und gefährlich. Kussalt scherte sich nicht um sein Äußeres, und das ließ ihn noch beeindruckender erscheinen. Sein ergrautes Gesicht vermittelte einen gewalttätigen Eindruck. Vergleichbar unerbittliche Augen hatte Saubon bisher nur bei Prinz Kellhus gesehen.
»Was sagt er?«, rief Saubon.
Der alte Berater warf ihm seine Lanze zu, ehe er sein Pferd zum Stehen brachte. Saubon hätte fast zu spät danach gegriffen und sah sich nun direkt dem abgetrennten Kopf gegenüber, der auf die Speerspitze gepflanzt war. Das dunkelhäutige Gesicht war blutleer und wirkte eigenartig blass. Die Zöpfe seines Spitzbarts schwangen hin und her. Es handelte sich um einen Edelmann aus Kian mit dem ledernen Aussehen von Dingen, die zu lange in der Sonne gelegen hatten. Dennoch schien der Kopf ihn mit seltsam entgleister Miene und schweren Lidern anzusehen, als sei er in lustvoller Verzückung.
Sein Feind.
»Krieg und Äpfel«, meinte Kussalt. »Er hat ›Krieg und Äpfel‹ gesagt.« Die Galeoth nannten abgetrennte Köpfe oft »Äpfel«. In alter Zeit – so hatte ein Lehrer Saubon mal erzählt – hatten die Galeoth diese Köpfe geschmort und ausgestopft, wie es die Thunyeri noch heute taten.
Auch die anderen hatten den Gipfel inzwischen erreicht und begrüßten ihren Heerführer. Gotian hatte seinen Stellvertreter Sarcellus dabei, während Anfirig, der Graf von Gesindal, seinen Berater mitgenommen hatte. Mehrere Lehnsmänner waren als Abgesandte verschiedener Adelshäuser erschienen. Schließlich waren auch vier, fünf bartlose Jünglinge dabei, die jederzeit als Boten losgeschickt werden konnten. Bis auf Kussalt und Gotian wirkten alle irgendwie verzweifelt.
Die Auseinandersetzung, die sich nun zutrug, war so erbittert wie alle, die Saubon über sich hatte ergehen lassen müssen, seit er und Gothyelk getrennter Wege zogen. Offenbar hatten Athjeäri und Wanhail seit dem frühen Morgen Gefechte geführt. Besonders Athjeäri, so berichtete Kussalt, sei überzeugt, Skauras sammle seine Truppen ganz in der Nähe, wahrscheinlich auf den Ebenen von Mengedda. »Er meint,
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