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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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sprang auf, packte seinen Neffen an den Schultern und schüchterte ihn so ein, wie es nur Eryeats Söhne konnten. Wie gern hätte er die Wahrheit bekannt und dem Jungen alles gebeichtet – diesem Jungen, der die Augen seiner Schwester besaß. Aber er war nicht wie sie… Er kannte seinen Onkel nicht.
    Und er würde ihn verachten, wenn er es täte.
    »Das geht nicht! Er darf mich nicht so sehen! Verstehst du das denn nicht?«
    Keiner darf es wissen! Keiner!
    »Wie darf er Euch nicht sehen?«
    »So!«, brüllte Saubon und stieß den jungen Mann zurück.
    Athjeäri fing sich wieder und stand sprachlos und offenkundig verletzt da. Er sollte empört sein, dachte Saubon. Schließlich ist er der Graf von Gaenri, einer der mächtigsten Männer von Galeoth. Er sollte wütend sein, nicht bestürzt.
    Kussalts immerfort murmelnde Lippen. Ich möchte, dass Ihr wisst, wie sehr ich Euch gehasst habe…
    »Schick ihn einfach fort!«, rief Saubon.
    »Wie Ihr wollt«, brummte sein Neffe. Er warf noch einen Blick auf die Knochen, die aus dem Boden ragten, und zog sich dann durch die lederne Eingangsklappe zurück.
    All diese Knochen sahen aus wie kleine Stoßzähne.
    Niemand ist immun dagegen – nicht einmal er.
     
     
    Es war spät, doch an Schlaf war nicht zu denken. Jetzt, da die Ainoni und die Scharlachspitzen endlich wieder zum Hauptheer des Heiligen Kriegs gestoßen waren, kam es Eleäzaras vor, als habe er wochenlang geschlummert. Schlaf war schließlich nichts anderes als Unkenntnis der Welt, also tiefe Ahnungslosigkeit.
    Um dem abzuhelfen, ließ er seinen Geheimdienstchef Iyokus Erkundigungen einziehen, kaum dass ihre Sänften die Ebenen von Mengedda erreicht hatten. Es galt, den Ort, an dem fünf Tage zuvor die Schlacht getobt hatte, zu begutachten und Zeugen zu vernehmen, um zu ermitteln, welche Taktik die Cishaurim angewandt hatten und wie es den Inrithi gelungen war, sie zu besiegen. Die vielen Informanten und Kundschafter, die sie im Gesamtheer platziert hatten, mussten ebenfalls kontaktiert und befragt werden, um festzustellen, wie die Lage sich jetzt, da sie durch heidnisches Gebiet marschierten, darstellte, und um die Sache mit diesen neuen Hautkundschaftern der Cishaurim zu verfolgen.
    Kundschaftern ohne Gesicht und ohne Mal.
    Er wartete vor seinem Pavillon auf Iyokus und ging im Licht der Fackeln auf und ab, während seine Sekretäre und die Leibwache aus diskreter Entfernung zusahen. Nachdem er Wochen in seiner Sänfte eingekerkert gewesen war, verabscheute Eleäzaras geschlossene Räume. Alles schien ihm dieser Tage beengend, ja einschnürend.
    Nach einer Weile tauchte Iyokus aus dem Dunkel auf und wirkte in seinem Gewand aus leuchtendem Purpur wie ein böser Geist.
    »Begleite mich«, befahl der Hochmeister der Scharlachspitzen seinem chanvsüchtigen Geheimdienstchef.
    »Durchs Lager?«
    »Fürchtest du Krawalle?«, fragte Eleäzaras leicht ungläubig. »Nachdem die Inrithi so viele Kämpfer durch die Cishaurim verloren haben, dürften sie kaum noch etwas gegen ein paar Gotteslästerer in ihrer Mitte einzuwenden haben.«
    »Nein. Ich dachte nur, wir könnten stattdessen die Ruinen besuchen. Es heißt, Mengedda sei älter als Shir…«
    »Iyokus der Altertumsforscher«, lachte Eleäzaras. »Das vergesse ich immer wieder.« Obwohl er kein Interesse an Ruinen hatte und Altertumsforschung für einen Charakterfehler hielt, der zu den Ordensleuten der Mandati passte, war er seltsam nachgiebig gestimmt. Außerdem schienen ihm die Toten gute Gesellschaft, wenn man sein Überleben plante.
    Er befahl der Leibwache, ihm in einigem Abstand zu folgen, und schlenderte mit Iyokus in die Dunkelheit.
    »Also, was hast du herausgefunden?«, fragte er.
    »Nachdem wir das Schlachtfeld untersucht haben«, sagte Iyokus,»ist die Sache recht klar.« Im Schein einer vorbeikommenden Fackel glühten seine pigmentlosen Augen einen Moment lang rot auf. »Es ist höchst beunruhigend, Hexenwerk zu begegnen, das kein Mal hinterlässt. Ich hatte vergessen…«
    »Noch ein Grund, dieses enorme Risiko einzugehen, Iyokus: die Chance, die Psûkhe zu vernichten…« Hexenwerk, das sie nicht zu sehen, eine Metaphysik, die sie nicht zu begreifen vermochten: Welchen besseren Grund konnte es geben, an diesem Feldzug teilzunehmen?
    »Allerdings«, meinte der dünnhäutige Mann, doch das klang wenig überzeugend. »Fest steht: Alle Zeugen – ob Galeoth oder nicht – haben ausgesagt, Prinz Saubon habe die Coyauri des Padirajah ganz allein

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