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Der Prinzessinnenmörder

Der Prinzessinnenmörder

Titel: Der Prinzessinnenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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wenn er weniger erschöpft war. Aber nicht in diesem Zustand, nicht in schwerem Tiefschnee. Er sah sich um. Einige Meter weiter oben lag seine Skimütze. Ein Stück weiter ragte die Spitze des verlorengegangenen rechten Skis aus dem Schnee. Die Stöcke waren an den Handgelenken geblieben. Geschmolzener Schnee rann Peter in den Kragen. Das Licht wurde schwächer. Bis hinauf zum Berggrat war alles weiß verschneit mit ein paar Felsen dazwischen. Darüber der Abendhimmel. Noch war es klar. Aber die Wolkenfront rückte schnell heran, schneller, als es noch vor einer Stunde den Anschein gehabt hatte.
    Plötzlich nahm Peter ein Licht wahr. Zuerst nur aus dem Augenwinkel. Es sah aus wie ein Stern. Nur stärker. Auf dem Grat dort oben. Er schnallte seinen Rucksack ab, ohne die Skistöcke von den Handgelenken zu nehmen, und wühlte verzweifelt, bis er die Wanderkarte fand. Als er sich auf der Karte orientiert hatte, suchte er mit den Augen den eingezeichneten Bergrücken ab und gelangte zu dem Symbol einer Berghütte. Für den Abstieg ohne Skier würde er wahrscheinlich drei Stunden brauchen. Wenn er sich in der Dunkelheit zurechtfand. Wenn er sich nicht im Schneetreiben verirrte. Der Aufstieg zur Hütte würde vielleicht eine Stunde dauern. Dort oben musste es ein Funkgerät geben, mit dem man die Bergwacht verständigen konnte. Die Frage war nur: Würde er einen Weg zur Hütte finden? Von hier unten sah es einfach aus. Aber er wusste, dass der Berg einen unangenehm überraschen konnte. Andererseits war es im Winter oft einfacher, einen Weg zu finden, weil der Schnee die Unebenheiten im Fels nivellierte.
    Eine Stunde später war es fast dunkel und das Licht der Hütte immer noch ein gutes Stück entfernt. Jetzt konnte er nicht mehr zurück. Das Gehen im Schnee mit den Skischuhen kostete mehr Kraft, als er gedacht hatte. Die Route zur Hütte war nicht mehr als eine konturlose dunkle Fläche, gelegentlich durchbrochen von den noch dunkleren Flecken der Felsen. Er musste in direkter Linie auf die Hütte zugehen und hoffen, dass das Gelände passierbar blieb. Doch der Hang wurde immer steiler, die Schritte immer mühsamer. Er sah nach oben. Die Sterne waren verschwunden. Er spürte eine erste Schneeflocke auf seiner Wange.
    Fünfzehn Minuten später kämpfte er sich durch dichtes Schneetreiben. Wind war aufgekommen. Vor seinen Augen tanzten eine Million weißer Punkte, stoben mal seitwärts, mal in Wirbeln um ihn herum, nahmen ihm die Sicht. Im Umkreis von zehn Metern sah er nur das Chaos. Dahinter lag Finsternis. Er musste sich auf seinen Gleichgewichtssinn verlassen. Da, wo es ihn hinzog, war unten, da, wo der Widerstand war, war oben, dort ging es zur Hütte, so hoffte er zumindest. Genauso gut war es möglich, dass er von der Linie zur Hütte längst abgekommen war. Doch blieb ihm wenig übrig. Er musste weiter. Irgendwo würde er ankommen. Er betete, es möge die Hütte sein. Es war kein stilles Gebet. Er betete laut, so laut, dass er sein Gebet hörte im Sturm, der an seinen Kleidern zerrte, der in seinen Pullover eindrang, bis auf die Haut, der ihm die Wärme aus dem Leib riss und von Minute zu Minute wütender wurde.
    Er ging weiter bergauf. Schritt für Schritt, versuchte den Sturm um sich herum nicht zu beachten, starrte nur auf den kaum sichtbaren Boden direkt vor seinen Füßen. Es wurde immer steiler. Er stemmte beide Stöcke vor sich in den Schnee, die Arme hoch erhoben, zog einen Skischuh aus dem Schnee, rammte ihn wenige Zentimeter weiter oben wieder in den Hang. Dann tat er das Gleiche mit dem anderen Fuß. Er spürte, wie die Kraft aus seinen Oberschenkeln schwand. Er schaffte es nicht mehr, das Bein hochzuziehen. Es war, als trage er Zementblöcke an den Füßen. Er musste rasten, gegen den Hang gelehnt, die Arme über dem Kopf auf die Stöcke gestützt. Keuchend und zitternd und schwach. Nichts mehr war in seinem Körper – außer dem Verlangen, sich in den Schnee zu legen und einzuschlafen. Er sah Lisa vor sich. Ihr Mädchengesicht wurde langsam vom Neuschnee bedeckt. Adrenalin schoss ihm wie Feuer in den Kopf. Er raffte sich auf zu einer letzten Anstrengung. Aber die Beine gehorchten nicht mehr.
    Mit einem Mal war Stille. Der Wind hatte sich gelegt, der Schnee hatte aufgehört zu tanzen, hatte sich zurückgezogen, die Wolkendecke tat sich einen Spalt auf und ließ Sternenlicht hindurch. Vor Peter lagen fünfzig Meter Schneefeld. Es schien nahezu senkrecht anzusteigen und ging dann in eine Felswand über,

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