Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Prinzessinnenmörder

Der Prinzessinnenmörder

Titel: Der Prinzessinnenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
Vom Netzwerk:
er einen toten jungen Mann im goldenen Kleid an einem Seil ins Hafenbecken hält. Die Vorstellung war, vorsichtig gesagt, absurd.
    »Wieso war der Mann nicht mehr im Krankenhaus?«
    »Er ist ausgebrochen.«
    »Sie haben Zweifel, dass er den Jungen umgebracht hat?«
    »Wickede leidet unter Verfolgungswahn. Scheint sogar ziemlich ausgeprägt zu sein. Aber nach Auskunft der Ärzte ist das nicht die Sorte Dachschaden, bei der man Leute umbringt und ihnen goldene Kleider anzieht.«
    »Was sagt Herr Wickede selber dazu?«
    »Er redet nicht mit uns. Das heißt, er redet schon. Aber nicht zur Sache. Ich persönlich glaube nicht, dass er’s war. Von dem Psychozeug mal abgesehen: Wo soll der mitten in der Nacht ein Bergsteigerseil und ein goldenes Ballkleid herkriegen?«
    »Glauben Sie, er hat irgendwas gesehen?«
    »Schon möglich. Aber wie gesagt – er redet nicht mit uns.«
     
    Gegen 16  Uhr erreichten Wallner und Monika Mantinides das Rechtsmedizinische Institut. Es regnete und war kalt, und es dämmerte bereits. So etwa stellte sich Wallner einen Winternachmittag in Narvik vor. Die diensthabende Ärztin erläuterte den Kommissaren das Obduktionsergebnis. Das Opfer war mit Flunitrazepam betäubt worden. Dann hatte es der Täter mit einem Stich ins Herz getötet und ihm anschließend das goldene Kleid angezogen. Das Tatmuster war identisch mit den beiden Morden im Landkreis Miesbach. Im Mund des Opfers war eine kleine Blechplakette gefunden worden. Zu Wallners Überraschung standen aber keine Zahlen auf der Plakette, sondern die Buchstaben M und X.
    »Was stand auf den anderen Plaketten?«, wollte Monika Mantinides wissen.
    »Auf der ersten eine 1 , auf der zweiten 72 .«
    »Was soll das denn?«
    »Wie das zusammenhängt, wissen wir nicht. Entweder es gehört zum Ritual des Täters, oder er will uns einen Hinweis geben. So oder so müsste es irgendeiner Gesetzmäßigkeit folgen.«
    » 1 , 72 und MX.« Die Kommissarin starrte auf die Plakette mit den Buchstaben. »Das reicht nicht. Wir brauchen mehr Glieder der Kette.«
    »Wir setzen alles daran, dass wir die nicht bekommen«, sagte Wallner.
    »Natürlich«, sagte Monika Mantinides. »Wollen Sie in das Heim fahren, in dem der Junge gelebt hat?«
    »Das wäre nicht schlecht«, sagte Wallner.
     
    Das Heim, in dem Helmut Lettauer bis zu seinem Tode gelebt hatte, war ein Bau aus den sechziger Jahren, den man erst kürzlich restauriert hatte. Für den Außenanstrich waren helle Pastelltöne gewählt worden. Wallner vermochte nicht zu sagen, ob der Bau bei schönem Wetter einen angenehmen oder gar fröhlichen Eindruck vermittelte. An einem diesigen Januarnachmittag wirkte er jedenfalls genauso deprimierend wie die umliegenden Wohngebäude aus nahezu schwarzem Backstein. Ansgar De Boer, der Leiter des Heims, hatte sich aus Anlass des Todesfalles selbst ins Heim begeben, obgleich es Samstag war. Wallner sah den Ehering an De Boers Hand und mochte nicht ausschließen, dass die Wochenenden auch für Herrn De Boers Ehe Zeiten der Prüfung waren. Ansgar De Boer war Anfang fünfzig. Er trug einen graubraunen Pullunder über einem gestreiften Hemd, die Brille war randlos, und die grauen Haare fielen bis in den Nacken.
    Helmut Lettauer war seit vorgestern als vermisst gemeldet. Das war nicht ungewöhnlich und sagte nichts über den Zeitpunkt aus, an dem er seinem Mörder begegnet war. Die jungen Menschen hier seien haltlos. Man versuche, Grenzen zu ziehen. Aber die Grenzenzieherei habe ihre Grenzen, wenn ihm dieses Wortspiel erlaubt sei, sagte Herr De Boer, schließlich seien es ausnahmslos aus der Bahn geworfene Existenzen, denen das Schicksal mehr als einmal in die Eier getreten habe, wenn ihm die deftige, aber treffende Wortwahl erlaubt sei. Trotz größter Anstrengung durch die Mitarbeiter des Heims, gelinge es fast nie, das wettzumachen, was Schicksal, Gesellschaft oder andere Menschen den jungen Leuten angetan hätten. Einige von ihnen seien dreimal die Woche als vermisst gemeldet. Das seien Routinevorgänge. Wenn sich jemand bis zu einer bestimmten Uhrzeit nicht im Heim einfinde, müsse er vermisst gemeldet werden. So seien die Vorschriften.
    Helmut Lettauer wurde von Herrn De Boer als tragischer, wenn auch nicht extrem tragischer Fall geführt – zumindest bis zu seinem gewaltsamen Tod. Wallner vermutete, dass die jüngsten Ereignisse De Boer zu einer Neubewertung bewegen würden. Klaus Lettauer, der Vater des Opfers, war 1998 als Deutschstämmiger aus Irkutsk eingewandert.

Weitere Kostenlose Bücher