Der Prinzessinnenmörder
Augenblick verträumt nach. Dann verschränkte er die Arme und betrachtete Wallner mit einer gewissen Herablassung. Die wollten etwas von ihm. Das war Wickede sehr bewusst. Er hatte sich nicht zufällig einem Pfleger anvertraut. In diesem Spiel war jeder Zug geplant, und Wickede war es leid, immer dem Gegner die Initiative zu überlassen.
»Sie sind Lehrer für Mathematik und Physik?«, begann Wallner das Gespräch. Wickede schwieg.
»Oh«, sagte Wallner, »ich dachte, Sie wollten mit mir reden.«
»Wieso ausgerechnet mit Ihnen?«
»Nun ja – Sie setzen Gerüchte in die Welt. Sie hätten einen Mörder erkannt. Das macht man, weil man reden will.«
»Tut man das?«
»Wollen Sie jetzt reden oder nicht?«
»Kann sein.« Wickede versuchte, an Wallners Erscheinung abzulesen, ob das Gespräch Sinn machen würde.
»Ich bin nicht aus Dortmund. Ich kenne Sie nicht. Ich weiß nur vage, warum Sie hier sind. Ich bin ein absolut Fremder für Sie. Das macht es oft leichter.«
Wickede spielte nervös mit den Fingern an seinem Mund. »Fangen Sie noch mal von vorne an. Und dann sehen wir, wie weit wir kommen.«
»Gut«, sagte Wallner. »Sie sind Lehrer für Mathematik und Physik?«
»Nein. Man hat mich zwangspensioniert. Müsste aber in Ihrer Akte stehen.«
»Dann sagen wir so: Sie haben Mathematik und Physik studiert und unterrichtet.«
»Korrekt.«
»Beschäftigen Sie sich noch mit diesen Dingen?«
»Ich habe ein paar, wie mir schien, nicht ganz unbedeutende Arbeiten zu Fermats letztem Satz verfasst.«
»Führt wahrscheinlich zu weit, mir zu erklären, worum es da geht.«
»Es geht darum, dass irgendein Komiker vor dreihundertsiebzig Jahren behauptet hat, er habe einen Beweis dafür, dass eine bestimmte Gleichung mit Exponenten größer als zwei keine ganzzahlige Lösung besitzt. Seitdem versuchen Generationen von Mathematikern herauszufinden, ob der Mann uns verarscht hat.«
»Und? Hat er?«
»Ja und nein. Seine Behauptung ist richtig, wie man seit zehn Jahren weiß. Aber den Beweis dafür konnte Monsieur Fermat unmöglich gekannt haben.«
»Das heißt, das Problem ist gelöst?«
»Ein englischer Mathematikprofessor hat viele Jahre in Einsamkeit verbracht, um diesen Unfug zu beweisen.« Wickede lehnte sich nach vorn und funkelte Wallner verschmitzt an. »Der Mann läuft frei herum, während ich hier festgehalten werde. Fällt Ihnen irgendein Widerspruch auf?«
Wallner machte eine unbestimmte Geste, die zum Ausdruck bringen sollte, dass er Wickedes Gedankengang zumindest folgen konnte.
»In dem Jahr, in dem man mich gezwungen hat, meinen Wohnsitz hierher zu verlegen, wurde Fermats letzter Satz bewiesen. Glauben Sie, irgendjemand hätte sich die Mühe gemacht, mir das mitzuteilen?«
»Die Leute hier sind Mediziner, keine Mathematiker. Die wissen nichts von Fermat oder davon, dass Sie an diesen Dingen arbeiten.«
»Entschuldigung.« Wickedes Augen leuchteten freudig vor Zynismus. »Das hatte ich vergessen. Die wissen ja gar nichts von mir. Keiner hier weiß was über mich. Außer, dass ich unter Verfolgungsängsten leide. Das weiß aber jeder ganz genau. Was wissen Sie denn über mich?«
»Dass Sie unter Verfolgungsängsten leiden. Und dass Sie vorletzte Nacht jemandem begegnet sind, den ich suche.«
»Oh – warum suchen Sie den Mann? Ist er außer Kontrolle geraten?«
»Er hat bis jetzt vermutlich drei junge Menschen umgebracht.«
»Warum ziehen Sie ihn dann nicht aus dem Verkehr?«
»Dazu müssten wir ihn haben. Sie könnten uns dabei helfen.«
Wickede rührte in dem lauwarmen Tee, der vor ihm stand. Er entschloss sich, den Teebeutel zu entfernen, der noch in der Tasse schwebte, sah aber nichts, was sich als Ablage dafür eignete. Wallner schob ihm einen Aschenbecher über den Tisch. Wickede ließ den Teebeutel bedächtig in den Aschenbecher sinken und nahm einen Schluck Tee.
»Woher weiß ich, dass ich Ihnen trauen kann?«
»Das können Sie nicht wissen.« Wallner ließ den Satz ein bisschen wirken. Es war zu erkennen, dass Wickedes Interesse an seinem Gesprächspartner wuchs.
»Aber Sie sind es gewöhnt, mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten«, legte Wallner nach.
»Das heißt?«
»Vielleicht kommen Sie zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu der Aussage, dass der Mann, den Sie gesehen haben, ein Mörder ist, den ich suche und ohne Ihre Hilfe nicht finden kann.«
»Interessant. Versuchen wir’s mal.«
»Was vermuten Sie, könnte ich im Schilde führen?«
»Sie fragen mich, was
Weitere Kostenlose Bücher