Der Prinzessinnenmörder
Hinausgehen seinen ausgestreckten rechten Mittelfinger bewundern und verschwand.
Wallner machte einen kurzen Gang durch die SoKo. Die Räume rochen wie üblich nach Kaffee, und die Luft war stickig. Heutzutage herrschte Rauchverbot. Wallner erinnerte sich an eine SoKo, in der er vor ein paar Jahren mitgearbeitet hatte. Da konnte man schon am frühen Nachmittag die Hand nicht mehr vor Augen sehen.
Es war Wallners Job, sich blicken zu lassen, den Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass die Dinge vorangingen. Die Verhaftung von Joseph Kohlweit hatte Erwartungen geweckt. Nachdem aber klargeworden war, dass es sich bei Kohlweit nicht um den gesuchten Mörder handeln konnte, war die Stimmung abgesackt. In den darauffolgenden Tagen musste Wallner bei den Besprechungen kleinste Ermittlungserfolge als Fortschritt verkaufen. Aber die Recherchen hatten im Grunde niemanden weitergebracht. Man war mehrere Tage auf der Stelle getreten. Erst der Mord von Dortmund hatte den Ermittlungen wieder Leben eingehaucht. Vier Mitarbeiter waren jetzt damit beschäftigt, sich mit den Kollegen in NRW auszutauschen und die ermittlungswesentlichen Fakten aus Dortmund zu beschaffen. Etliche andere waren damit beschäftigt, die Informationen auszuwerten und mit den eigenen Ergebnissen zu vergleichen. Wallner schüttelte Hände, klopfte Schultern und setzte sich, immer eine Tasse Kaffee in der Hand, auf Schreibtische, um ein paar Takte zu reden, zu loben oder gelegentlich kritische Anmerkungen zu machen. Schließlich führte ihn sein Weg zu einer Frau namens Viola Gruber, die Mike bei seinen SchreiberRent-Recherchen zur Hand gegangen war. Offenbar hatte Mike ihr vor seiner Abfahrt nach Tirol keine Anweisungen hinterlassen. Denn Gruber telefonierte und sagte »Ich muss jetzt Schluss machen«, als sie Wallner kommen sah. Wallner bat sie, sämtliche Automieter auf der SchreiberRent-Liste, bei denen das noch nicht geschehen war, auf Vorstrafen zu überprüfen. Das betraf fast ausschließlich Frauen. Als Gruber fragte, wie eilig es denn sei, wurde Wallner dann doch etwas gereizt und fragte, was sie denn sonst zu tun habe. Gruber sicherte zu, sich der Sache sofort anzunehmen.
Am Ende seiner Tour ging Wallner in Tinas Büro. Eigentlich war es das Büro von Tina und Lutz. Aber im Haus wurde es nur »Tinas Büro« genannt. Denn die Ausstattung mit persönlichen Dingen stammte ausschließlich von Tina, wenn man von der kleinen Magnettafel absah, auf der Lutz jeden Montag die Bundesligatabelle neu ordnete. Der übrige Raum war vollgestellt mit Pflanzen und Staubfängern aus Läden wie IKEA oder Butlers. An den Wänden und auf Tinas Schreibtisch waren unzählige, teils zu Collagen zusammengesetzte Fotos, die Tinas Tochter Valerie zeigten. Auf den Bildern konnte man sehen, welche Fortschritte das Kind von der Geburt bis heute gemacht hatte. Wichtige Ereignisse wie die Kommunion, die erste Zahnlücke und ein Schul-Skirennen waren mit mehreren Aufnahmen vertreten. Unter den Kommunionsfotos hing ein Bild, das Valerie im Alter von acht Jahren auf einer Beerdigung zeigte. Das letzte Foto war eine Blitzlichtaufnahme von Valerie und Tina. Darauf nur die Gesichter von Mutter und Tochter. Beide grell geschminkt auf einem Faschingsfest, Tina als Clown, Valerie als Gespenst. Das Gespenst küsst den Clown im Augenblick der Aufnahme auf die Wange. Tina lacht, ist sichtbar glücklich in diesem Moment. Dennoch ist eine Melancholie in Tinas Augen, die, so scheint es, immer dort ist.
Tina und Wilbert waren ein Paar, seit Wilbert in der zehnten Klasse auf die Schule kam. Sie gehörten zusammen, als sei es das Natürlichste der Welt, dass man mit sechzehn den Menschen trifft, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen wird. Jeder in ihrer Umgebung musste es erkennen: Zwischen den beiden, das war keine Teenager-Schwärmerei, das war die ewige Liebe. Die beiden hatten im anderen den Menschen gefunden, der das eigene Leben erst zu einem Ganzen machte und mit Harmonie erfüllte. Dieses Glück war so lange ungetrübt, als Wilbert nicht den Fährnissen des Lebens ausgesetzt war. Bereits im Studium geriet Wilberts Lebensschiff in rauhe See. Hatte er in der Geborgenheit der Schulklasse noch ohne Mühe gute Leistungen erbracht, so änderte sich alles, als er an der Universität auf sich allein gestellt war. Nachdem er zum dritten Mal die Prüfung in Mikroökonomie nicht bestanden hatte, gab Wilbert sein Studium auf und pachtete eine Bergwirtschaft. Doch das Gasthaus war
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