Der Prinzessinnenmörder
mannigfaltige Formen annehmen konnte. So entdeckte die Polizei Ende der neunziger Jahre auf einen anonymen Hinweis hin eine große Cannabisplantage. Das Ungewöhnliche an der Sache war: Das Feld mit den Cannabispflanzen gehörte dem konservativen Bürgermeister einer der Landkreisgemeinden. Der Bürgermeister konnte zwar glaubhaft machen, dass er das abgelegene Grundstück seit Jahren nicht mehr inspiziert hatte. Aber er konnte nicht verhindern, dass die Geschichte bundesweit ein heiteres Echo in den Medien fand. Der Täter konnte nie ermittelt werden. Doch niemand im Landkreis hatte Zweifel, wer hinter der Bepflanzungsaktion gestanden hatte.
Traudl Grieser war eine imposante Erscheinung mit markanter Nase, großen Händen und tiefer, aber weiblicher Stimme. Das graue Haar trug sie zum Pferdeschwanz gebunden. Seit ihrer Wackersdorfer Zeit hatte sie eine schwarze Lederjacke, die mittlerweile recht abgestoßen war, ihr dadurch aber etwas Verwegenes verlieh. Eine Vernehmung von Traudl Grieser war nichts, was sich der Miesbacher Polizist zu Weihnachten wünschte.
»Was schickst du mir den armen Kreuthner?«, sagte Traudl Grieser und drehte sich dabei eine Zigarette. »Hätt mehr Stil, wenn du selber kommen tätst, wennst was von mir willst.«
Sie sah Wallner mit ihren hellgrauen Augen an. Wallner hatte das Theater schon ein paarmal mitgemacht. Man konnte nicht verhindern, dass einem unwohl wurde, wenn die grauen Augen einen ansahen. Wallner ignorierte die Augen, so gut es ging. Dass Traudl Grieser jeden duzte, der ein Amt innehatte, konnte man ihr nicht abgewöhnen. Wallner wollte keine Zeit auf Nebenkriegsschauplätzen verlieren.
»Wir teilen uns die Arbeit hier auf. Der eine holt die Leute, der andere befragt sie.«
»Bei der Arbeitsteilung fängt die Entfremdung an. Lass den Kreuthner doch mal selber fragen. Dann hat er wieder Spaß am Job.«
»Es gibt Gründe für die Arbeitsteilung.«
»Welche? Dass der Kreuthner sich sein bissl Hirn weggesoffen hat?«
»Können wir jetzt zum Anlass unseres Gesprächs kommen? Ich will nicht drängeln, aber Sie haben sicher auch noch was vor.«
»Du weißt doch, dass ich mit euch nichts Dienstliches berede.« Traudl Grieser zündete sich die Zigarette an.
»Das ist ein Nichtraucherbüro. Ich sag’s nur der Form halber.«
»Sehr gut. Wär ja scheiße, wenn wir beide hier drin qualmen.«
»Sie haben letzte Woche einen Transporter gemietet. Bei der Firma SchreiberRent. Wozu haben Sie den gebraucht?«
»Ich hab ’ne größere Lieferung Gras abgeholt. Wo, kann ich leider nicht sagen. Ich will da niemanden mit reinziehen. Ist gutes Zeug aus biologischem Anbau. Ich kann dir ein paar Gramm gratis geben. Zum Probieren.«
»Danke. Aber als Beamter darf ich auch kleinere Gefälligkeiten nicht annehmen. Wir vermuten übrigens, dass Sie letzte Woche ausnahmsweise nicht straffällig geworden sind, sondern den Wagen an jemanden verliehen haben.«
»Echt?« Traudl Grieser blies eine dünne Rauchsäule zur Decke und sah ihr mit ihren grauen Augen hinterher. »Dass ich mich da gar nicht dran erinnern kann?«
Sie betrachtete interessiert die Glut ihrer Zigarette. »Selbst wenn – ist das verboten?«
»Nein. Sagte ich schon. Wir interessieren uns auch mehr für den Mann, in dessen Auftrag Sie den Wagen gemietet haben.«
»Wallner – du kennst mich. Nehme ich Aufträge an?«
»Für Geld – ja.«
»Hinter wem seid ihr her? Nur dass ich weiß, wen ich vor euerm Zugriff bewahre.«
»Sie kannten die kleine Gertraud Dichl? Wohnte keine zwei Kilometer von Ihnen.«
Traudl Grieser schwieg.
»Ihre Leiche wurde in dem Wagen transportiert, den Sie gemietet haben. Vielleicht wurde sie auch darin ermordet.«
Traudl Griesers graue Augen verengten sich für einen Moment. Sie dachte nach. Doch dann sah sie Wallner wieder mit gewohnter Aufsässigkeit an.
»Komm, erzähl das deinem Opa. Abgesehen davon – ich hab den Wagen nicht verliehen.«
»Und die kleine Dichl wurde nicht ermordet. Und Pia Eltwanger auch nicht. Und natürlich auch nicht der Junge in Dortmund. Haben wir uns alles ausgedacht, um Sie zu schikanieren.«
Traudl Grieser entfernte einen Krümel Tabak von ihrer Unterlippe. »Netter Versuch.«
Wallner sagte nichts. Er sah Traudl Grieser nur an. Die grauen Augen sahen zurück, wichen Wallners Blick aus, sahen aus dem Fenster. Draußen senkte sich die Nacht über das Voralpenland. Wallner sagte immer noch nichts.
»War’s das?«, fragte Traudl Grieser.
Wallner legte einen
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