Der Prinzessinnenmörder
verhelfen. Für den Mord an dem Jungen hatte Frau Mikulai keine Erklärung, äußerte aber den vorsichtigen Verdacht, dass er etwas mit Helmuts schlechtem Umgang zu tun habe. Als Wallner das Papier zur Seite legte, zuckte etwas für den Bruchteil einer Sekunde im Augenwinkel auf. Es war das Wort »Schwaz«. Wallner war nicht sicher, ob er sich das eingebildet hatte oder ob es tatsächlich irgendwo auf der ersten Seite des Protokolls stand. Er konnte sich nicht erinnern, es beim Überfliegen des Protokolls gelesen zu haben. Er nahm das Protokoll noch einmal zur Hand und las den Text genauer. Aber das Wort »Schwaz« war nicht mehr zu entdecken. Wallner kämmte systematisch die ganze erste Seite durch. Plötzlich tauchte es auf, wie aus dem Nichts. Bei den Personalien von Astrid Mikulai stand: Geboren in Fügen, Bez. Schwaz/Österreich.
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29 . Kapitel
R athberg saß hinter dem Lenkrad eines Ford Transit und schlürfte schwarzen Tee mit Milch aus der Verschlusskappe seiner Thermoskanne. Es war kalt im Wagen. Seit er den Motor ausgemacht hatte, waren zwei Stunden vergangen. Der Kleintransporter stand auf dem Parkplatz vor dem Bräustüberl in Tegernsee. Rathberg musste schräg durch das Seitenfenster sehen, wenn er die Eingangstür des Wirtshauses im Auge behalten wollte. Und er wandte den Blick auch beim Trinken nicht von dieser Tür.
Der Tag war schlecht verlaufen. Nach der Polizeikontrolle – die hatte er immerhin mit Glück überstanden – musste sich Rathberg einen neuen Wagen besorgen. Kennzeichen und Halter des Transporters waren durch die Datenbanken der Polizei gelaufen. Wenn sein Name noch an anderer Stelle bei den Ermittlungen aufgetaucht war, bestand die Gefahr, dass das jemandem auffiel. Rathberg war nach München gefahren und hatte sich ein anderes Fahrzeug gemietet. Auf der Rückfahrt von München fiel ihm auf, dass er einen Fehler gemacht hatte. Es wäre besser gewesen, zu einem halbseidenen Gebrauchtwagenhändler zu gehen und einen Wagen cash zu kaufen. Es hätte Wochen gedauert, bis sein Name im Computer der Kfz-Zulassungsbehörde aufgetaucht wäre. Aber jetzt war es zu spät. Wenn die Polizei einmal auf seinen Namen stieße, würde sie kurze Zeit später wissen, mit welchem Wagen er unterwegs war.
Rathberg begann Fehler zu machen, und das missfiel ihm. Mehr und mehr missfiel ihm auch, dass er nicht wusste, welchen Vorsprung er vor der Polizei hatte. Das machte die Sache zwar spannend, aber auch nervenaufreibend. Nach reiflicher Überlegung hatte er beschlossen, von seinem Plan abzuweichen und gleich zu handeln. Er war sich einfach nicht sicher, wie viel Zeit ihm noch blieb.
Das Mädchen hatte das Bräustüberl gegen halb acht zusammen mit vier Freunden betreten. Nach Rathbergs bisherigen Beobachtungen ging das Mädchen selten aus. Und wenn, dann blieb es nie so lange wie der Rest der Clique. Es müsste innerhalb der nächsten Viertelstunde die Gastwirtschaft verlassen. Und zwar alleine. Der Bus nach Rottach ging um halb elf. Aber das Mädchen stellte sich meist zehn Minuten früher an die Haltestelle.
Rathberg trank den letzten Schluck Tee, schraubte den Verschluss wieder auf die Thermoskanne und verstaute sie in dem Netz auf der Rückseite des Beifahrersitzes. Als er wieder zum Bräustüberl sah, war das Mädchen schon auf dem Weg zur Bushaltestelle. Wie vermutet ohne Begleitung. Rathberg wartete, bis das Mädchen fast am See angelangt war. Er konnte ihr nicht folgen. Sie nahm den Weg über die Uferpromenade, die für Autos gesperrt war. Das hatte andererseits den Vorteil, dass er ihr nicht hinterherfahren musste, was vielleicht aufgefallen wäre. Rathberg ließ den Wagen an und fuhr langsam um das Schloss und die herzogliche Brauerei herum auf die andere Seite des Gebäudekomplexes, wo sich die Bushaltestelle befand. Das Mädchen traf dort gerade ein. Rathberg wartete noch ein paar Sekunden, dann beschleunigte er auf Normaltempo, um an der Haltestelle wieder langsamer zu werden und schließlich neben dem Mädchen anzuhalten. Rathberg ließ das Fenster auf der Beifahrerseite herunter und lehnte sich über den Beifahrersitz.
»Hallo! Ich hab mir gedacht, das Gesicht kenn ich doch.«
Rathberg lächelte. Das Mädchen sah ihn irritiert an. Offenbar konnte sie sich nicht erinnern.
»Heute Nachmittag. Ich bin vom Fernsehen.«
»Ach so, ja. Hallo.« Sie lächelte jetzt ebenfalls. Erleichtert.
»Ich fahr nach Rottach. Ich muss ins Hotel Mayrach. Soll ich Sie mitnehmen? Ist kein großer
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