Der Prinzessinnenmörder
peinliche Geschichten aus seiner, Wallners, Kindheit waren. Schließlich gab er auf und ging ins Bett.
Unter der Bettdecke wartete Wallner weiter darauf, dass Frau Wörner sich verabschiedete. Er hatte die Zimmertür wie üblich einen Spaltbreit offen gelassen. Wallner versuchte zu schlafen. Das gelang ihm nicht so recht. Zweimal döste er ein und wachte wieder auf, geweckt von der Geräuschlosigkeit im Haus. Er sah zur Tür. Aus dem Erdgeschoss drang immer noch schwaches Licht herauf. Dann wieder leise Geräusche aus der Küche. Man nahm offenbar Rücksicht auf den Schlafenden. Wallner drehte sich um und zog die Decke über den Kopf. Als er wieder aufwachte, war es halb vier. Er drehte den Kopf zur Tür. Jemand hatte sie zugemacht.
Zwanzig Kilometer entfernt konnte noch jemand nicht schlafen. Rathberg saß mit Mütze und Handschuhen auf dem Balkon seines Hotelzimmers und sah auf den mondbeschienenen See. Er trank den letzten Schluck aus dem kleinen Fläschchen Whisky, das er in der Minibar entdeckt hatte. Das Wodkafläschchen hatte bereits den Weg in den Hotelzimmerpapierkorb gefunden. Rathberg war unzufrieden. Ja, nachgerade besorgt. Er war heute Abend von seinem Plan abgewichen. Das hätte nicht passieren dürfen. Warum hatte er nicht bis morgen gewartet? Warum musste er das Mädchen schon heute in seinen Wagen locken? Zugegeben – vielleicht war ihm die Polizei schon auf der Spur. Aber auf zwölf Stunden würde es nicht ankommen. Das war keine Rechtfertigung für Improvisationen. Das Mädchen war gerade dabei gewesen, in Rathbergs Wagen zu steigen, als ein anderer Wagen in die Bushaltestelle einfuhr und anhielt. In dem Wagen saßen die Freunde des Mädchens, die entgegen ihrer Gewohnheit des Bräustüberls bereits überdrüssig und im Begriff waren, das Lokal zu wechseln. Sie hatten das Mädchen an der Haltestelle gesehen und fragten jetzt, ob sie es nach Hause fahren sollten. Das Mädchen sagte, sie fahre mit Rathberg noch ins Hotel Mayrach, um dort einen Filmregisseur zu treffen. Die Freunde des Mädchens waren von der Aussicht, einen Filmregisseur zu treffen, derart angetan, dass sie anboten mitzukommen. Rathberg musste die Aktion abbrechen. Er gab vor, just in diesem Moment eine SMS bekommen zu haben. Der Regisseur habe den Termin abgesagt. Nichts Ungewöhnliches bei dem Mann. Ungewöhnlich eher, dass er überhaupt absage, anstatt einfach nicht zu erscheinen. Tja, leider. Er werde sich dann halt morgen melden. Rathberg überließ das Mädchen seinen Freunden und fuhr ins Hotel zurück. Niemand hatte Verdacht geschöpft. Aber das Risiko wurde größer. Rathberg musste sich beruhigen. Es gab noch einen Magenbitter in der Minibar.
Um halb sieben stand Wallner auf. Es war dunkel draußen, und Wallner war erschöpft, weil er zu wenig geschlafen hatte. Während der Kaffee durchlief, ging Wallner ins Wohnzimmer. Manfred hatte das Fenster auf Kippen gestellt, um zu lüften, und die Heizung ausgemacht. Wallner hasste es, wenn das Wohnzimmer morgens kalt war. Er drehte schlotternd die Heizung auf, legte sich eine Wolldecke um und schloss das Fenster. Dabei sah er, dass vor dem Haus immer noch der uniformierte Beamte durch die morgendliche Kälte patrouillierte. Seine Schicht musste bald zu Ende sein. Und noch etwas sah Wallner: Der Wagen, der gestern vor dem Haus geparkt hatte, stand immer noch da. Frau Wörners Wagen. Wallner starrte eine Weile auf das Auto. Da knarzte hinter ihm die Holztreppe. Wallner kannte das Geräusch. Manfred mühte sich wie jeden Morgen die Treppe aus dem ersten Stock hinunter. Heute Morgen klangen Manfreds Schritte ein wenig schneller als sonst. Für Manfreds Verhältnis geradezu beschwingt. Wallner versuchte, seine Gedanken zu ordnen und eine Antwort auf die Frage zu finden, was dieser Wagen vor seinem Haus zu suchen hatte. Nachdem er ein paar vollkommen unsinnige Varianten verworfen hatte, blieb nur ein logisch zulässiger Ablauf der nächtlichen Ereignisse übrig: Frau Wörner hatte zu viel getrunken und war mit dem Taxi nach Hause gefahren.
Wallner ließ sich Zeit. Manfred war schon am Kühlschrank und trank Milch aus der Packung. Er stellte die Packung gerade zurück, als Wallner in die Küche kam.
»Guten Morgen. Ich hoffe, du hast schlafen können.« Manfred klang irgendwie aufgekratzt.
»Jaja. Sehr gut. Hast du meine Tür zugemacht?«
»Ich hab mir gedacht, es ist dann ruhiger. Du musst ja früh raus.«
»Danke. Sehr rücksichtsvoll von dir. Kaffee?«
»Ach – ist
Weitere Kostenlose Bücher