Der Prinzessinnenmörder
Umweg für mich.«
»Das ist nett. Aber mein Bus kommt gleich.«
»Das kann dauern. Ich hab den Bus kurz hinter Gmund überholt.«
Das Mädchen war unsicher, dachte nach. Es war kalt draußen. Aber sie kannte den Mann im Wagen nicht.
»Ich bin Ihnen nicht böse, wenn Sie nicht mitfahren wollen. Sie kennen mich ja nicht«, sagte Rathberg und lächelte das Mädchen wieder an, diesmal väterlich-verständnisvoll.
»Es ist wirklich nicht, dass ich Ihnen nicht traue oder so …«
»Nein, ehrlich. Das ist völlig in Ordnung. Wenn ich Ihr Vater wär, würde ich auch nicht wollen, dass Sie nachts in irgendwelche Autos einsteigen.«
»Ich möchte nicht, dass Sie das falsch verstehen.«
»Wie gesagt – kein Problem. Wissen Sie was …?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf und steckte seine Hände unter die Achseln. Ihr Atem bildete kleine Wolken in der eisigen Nachtluft.
»Ich bleibe hier, bis der Bus kommt, pass auf Sie auf und vertreib Ihnen ein bisschen die Zeit.«
»Das müssen Sie nicht.«
»Reiner Eigennutz. Nicht, dass Ihnen noch was zustößt. Dann steh ich morgen dumm da. Ich hab dem Regisseur nämlich schon von Ihnen erzählt.«
Das Mädchen lachte.
»Und? Was hat er gesagt?«
»Der war ganz aufgeregt.« Rathberg imitierte den aufgeregten Regisseur mit überkippender Stimme: »Schaffen Sie mir die Frau her!, hat er gesagt. Bevor die anderen sie kriegen! Ich fahr übrigens gerade zu ihm. Er will meine Location-Vorschläge ansehen.«
Rathberg holte die Fotos hervor, die er von ihm günstig erscheinenden Örtlichkeiten gemacht hatte. Das Interesse des Mädchens war geweckt. Und es fror zusehends. Rathberg sah auf die Uhr. Es war drei Minuten vor halb. Das Mädchen betrachtete die Fotos.
»Der Regisseur wohnt im Mayrach?«
»Ja. Zahlt alles der Sender.«
»Sie wohnen da auch?«
»Gott, nein! Wo denken Sie hin. Da wohnen nur die Häuptlinge, nicht die Indianer. Der Produzent wohnt noch da.«
Das Mädchen gab die Fotos zurück. Rathberg steckte sie in seine Jacke und schien eine Idee zu haben.
»Mir kommt da gerade was. Sie könnten den Regisseur eigentlich auch heute Abend kennenlernen. Wissen Sie – der Mann hat viel um die Ohren und ist ziemlich chaotisch. Wer weiß, ob er morgen überhaupt Zeit findet.«
»Ist das nicht zu spät?«
»Nein. Das ist völlig normal für den. Der arbeitet immer bis spät in die Nacht.«
»Na ja …« Das Mädchen war sichtlich unschlüssig.
»Fahren Sie doch mit dem Bus bis zum Freibad und gehen von da zu Fuß. Sind doch nur fünf Minuten. Ich warte in der Lobby auf Sie.«
Das Mädchen sah zu Rathberg, dann in die Richtung, aus der der Bus kommen musste. Es kam kein Bus. Sie dachte nach und blies Kondenswolken aus ihrer hübschen Teenagernase.
»Ist ja albern«, sagte sie schließlich.
»Was meinen Sie?«
»Ich fahr mit Ihnen mit, okay? Ist doch unsinnig, wenn Sie ewig in der Hotelhalle auf mich warten müssen.«
»Wie gesagt – ich habe jedes Verständnis, wenn Sie lieber mit dem Bus fahren.«
»Ich glaub, Sie sind okay. Irgendwo hat man das ja im Gefühl, oder?«
»Ich denke doch«, sagte Rathberg und öffnete die Beifahrertür.
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30 . Kapitel
W allner hatte sofort versucht, Astrid Mikulai zu erreichen. Bei sich zu Hause war sie nicht, und ihr Handy war ausgeschaltet. Im Heim bekam er nur einen Zivildienstleistenden namens Gantek an den Apparat. Gantek hatte erst seit zwei Tagen Dienst. Der Name Mikulai sagte ihm nichts. Wallner schlug vor, den Dienstplan zu konsultieren. Gantek zögerte, schlug seinerseits vor, das später zu machen. Jetzt habe er gerade Beschäftigungstherapie. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass nicht Gantek beschäftigungstherapeutisch behandelt wurde, sondern Gantek zwei Jugendliche therapeutisch beschäftigte. Im Hintergrund fragte eine junge Stimme, ob Gantek die Sechsunddreißig jetzt habe. Ansonsten solle er passen, damit man mal zu Potte komme. Gantek sagte, ja, er habe die Sechsunddreißig, aber sie sollten kurz warten. Dann entfernte er sich von seinen Gesprächspartnern, senkte die Stimme und sagte, er werde in fünf Minuten zurückrufen. Er habe – Gantek senkte die Stimme weiter –, er habe gerade einen Null ouvert auf der Hand und müsse sich konzentrieren. Wallner sagte, er könne gern auch den Heimleiter anrufen, wenn Herr Gantek keine Zeit habe. Worauf sich Gantek doch gleich zum Dienstplan begab und ihm sagte, Frau Mikulai habe Frühdienst gehabt. Folglich sei sie um die Uhrzeit nicht mehr im
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