Der Privatdozent
ehrlich bin, dann ist das der Teil meiner Arbeit, den ich am wenigsten mag.”
Ich bin überrascht. „Echt?”
„Außer heute natürlich”, sagt er schnell und wir lachen. Nach einem Moment setzt er aber noch hinzu: „Ich glaube nicht, dass ich meine Sache gut genug mache.”
„Hmm”, mache ich.
„Na, wenn das nicht mal ’ne hundertprozentige Zustimmung ist.”
„Als Dozent kann ich dich halt nicht wirklich leiden.”
„Das hab ich mir schon gedacht.” Marco lacht etwas hölzern.
„Sorry, das war vielleicht ein wenig hart.”
„Nein, schon gut. Hauptsache, du kannst mich jetzt in diesem Moment leiden.”
„Ja, jetzt bist du es ja selbst schuld, dass ich so spät gekommen bin.”
Marco lacht wieder. „Echt um keine freche Antwort verlegen.”
„Im Seminar nervt es aber schon ziemlich, wenn du immer so einen Aufriss machst.”
„Ich versuche mich zu bessern, okay? Aber es bringt mich immer ziemlich aus dem Konzept, wenn du reinkommst, während ich mich auf andere Dinge konzentrieren muss.”
„Jetzt mal ehrlich”, ich sehe Marco in die Augen, „bist du wirklich so – also, auf mich fixiert?”
„Ich wusste deinen Namen nicht, weil du dich noch nicht am Seminar beteiligt hast, aber ich weiß, dass du erst zur zweiten Sitzung aufgetaucht bist, sieben Minuten zu spät. Zur dritten Sitzung hast du es gerade so pünktlich geschafft, weil ich dich die Woche zuvor angeranzt habe. Ab der vierten Sitzung hast du wohl vollkommen aufgegeben. Eine Viertelstunde Verspätung und seitdem immer ein Gesicht, als sei mein Seminar echt das Letzte.” Marco räuspert sich. „Diese Hose hast du heute zum ersten Mal an, das T-Shirt hast du aber vor zwei oder drei Wochen schon mal angehabt. Du trägst gern dunkle Sachen, aber wenn du gute Laune hast oder morgens absolut in Eile bist, sind deine T-Shirts knallbunt.”
„Was?” Ich lache los, weil ich wie vor den Kopf geschlagen bin. Ich stütze mich auf den Ellbogen und richte mich auf. „Du hast dir das nicht wirklich alles gemerkt, oder?”
Marco schaut verlegen drein. „Wenn ich mich erst in jemanden verguckt habe, sammeln sich die Infos wie von selbst, sorry.”
„Und woher willst du das mit den bunten Shirts wissen?”
„Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, hattest du eine weite, schwarze Hose an und ein knatschgrünes Shirt. Darüber ein schwarzes Kapuzenshirt. Ich vermute, du warst motiviert. In der nächsten Woche hattest du ein himmelblaues Shirt an, das aber total zerknittert war und deine Haare standen wild durcheinander, als wärst du gerade erst aufgestanden. Dazu dunkle Hose und ein dunkles Schlabberhemd, wenn ich das richtig im Kopf habe.”
„Keine Ahnung”, gestand ich.
„Jedenfalls hast du es morgens wohl ziemlich eilig gehabt, weil du nicht schon wieder ’nen Rüffel bekommen wolltest.”
„Na, damit liegst du aber richtig. Ich hasse es, wenn mich jemand vor der gesamten Gruppe anmault”, werfe ich beleidigt ein.
„In der Folgewoche war es dir wohl egal, ob du zu spät kommst. Du kamst schon launisch herein und warst ganz in schwarz, aber recht ordentlich, wenn man das von den Klamotten überhaupt sagen kann.”
„Hey!”, beschwere ich mich.
„Soll ich aufhören?”
Ich überlege kurz. Auf der einen Seite hat Marcos Gedächtnis etwas erschreckend Wahnsinniges, auf der anderen fühle ich mich aber auch geschmeichelt. Ich habe Woche für Woche meinem Dozenten den Kopf verdreht, ohne auch nur das Geringste davon zu merken.
„Mach weiter”, sage ich schließlich und setze mich richtig auf, während Marco in seinen Pants vor mir liegen bleibt.
„Die schlimmste Woche war, als du gar nicht aufgetaucht bist”, fuhr er fort. „Ich habe bis zum Ende der Sitzung auf dich gehofft, egal wie zerknittert du auch aussehen würdest.”
„Oh”, mache ich. „Ich hatte ’nen Kater …”
Marco murrte. „Ich danach auch.”
„So schlimm?”
„Ich stehe halt nicht gern vor einer Horde Studenten. Da ist mir der einzige Trost, wenn da jemand Hübsches bei ist.”
„Also guckst du dir immer einen Liebling aus?”
„Nee”, lacht er. „Hier und da finde ich zwar schon ganz nette Jungs, aber du hast mich wirklich erwischt.”
„Und heute?”
„Heute habe ich schon befürchtet, dass du wieder nicht kommst. Darum war ich wohl auch besonders fies.”
„Ja, aber hallo!”
„Aber du bist auch nicht schlecht, wenn ich das mal so sagen darf.”
Ich grinse. „Ich hab dich ganz schön lächerlich gemacht,
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