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Der Privatdozent

Titel: Der Privatdozent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Seinfriend
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fast weh und plötzlich habe ich Schuldgefühle. Wenn ich nicht so blöd deprimiert gewesen wäre, hätten wir die Tür nicht vergessen. Oder wenn wir nicht so lang einfach nur liegen geblieben wären … Es war doch genügend Zeit, sich nach dem Fick wieder in Ordnung zu bringen. Dann wäre der Alte reingedonnert und hätte höchstens einen Studenten gesehen, der vielleicht ein bisschen zu nah bei seinem Sohn steht. Oder Marco hätte mich längst schon wieder rausgeschickt … Dann säße ich jetzt in der Vorlesung zur Literaturgeschichte und würde von den Berührungen gerade träumen, anstatt sie zu bereuen.
    „Ich muss jetzt allein sein”, sagt Marco leise und fordert mich damit auf, die Tür von außen zu schließen. Ich bewege mich auch sofort auf das Büro zu, als ich mich spontan dagegen entscheide und die Tür von innen schließe.
    „Nein, musst du nicht!”, sage ich und gehe auf den Schreibtisch zu. „Das ist jetzt alles ein bisschen blöd gelaufen, aber es ist nichts passiert, womit wir nicht leben können.”
    „Wir?”, fragt Marco ein wenig spöttisch. „ Ich muss damit leben!”
    Ich schlucke. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich von Marco und mir zusammen gesprochen habe. Für einen Moment bringen mich diese Erkenntnis und die rüde Zurückweisung aus dem Gleichgewicht. Einen Augenblick lang überlege ich, ob ich ihn nicht doch besser allein lassen soll. Er will es so. Und ich habe nicht wirklich was mit dem Theater zu tun. Er hat recht damit, dass er damit leben muss. Nur, wünsche ich es mir nicht anders? Eine Beziehung, in der man gleich bei den ersten Schwierigkeiten davonläuft, ist wohl nur von kurzer Dauer.
    „Du bist erwachsen!”, sage ich fest. „Normalerweise wird man dann nicht mehr von seinem Vater angeschrien.”
    „Normalerweise erwischt der Vater einen auch nicht beim …”
    „Ja, das ist dumm, aber passiert”, falle ich Marco ins Wort. „Was hast du jetzt vor?”
    „Eigentlich wollte ich nur ein paar Bücher abholen und dann auf die Arbeit …”, murmelt Marco.
    „Eigentlich?”
    „Ich bin beurlaubt.”
    Ich runzle die Stirn. „Wegen – der Sache jetzt?”
    „Offiziell, weil ich mich geweigert habe, heute früh zum Meeting zu erscheinen.”
    „Was denn für ein Meeting?”
    „Wenn was nicht rund läuft, trommelt mein Vater immer alle Köpfe zusammen, um dann selbst zu überlegen, was zu tun ist. Ich habe ihm vor ein paar Wochen gesagt, dass ich diese Marotte nicht mittrage, weil es eben nicht darum geht, dass mehrere Leute nach einer Lösung suchen, sondern nur darum, dass mein Vater sich gern beim Denken zusehen lässt, während er alle anderen zum Schweigen verdonnert.” Marco ballt die Faust und setzt sie in einem gebremsten Schlag auf den Tisch. „Und genau so einem bescheuerten Meeting habe ich mich heute verweigert.”
    Ich sehe die Faust, die so voller Kraft steckt, und sich trotz all der Wut vollkommen geräuschlos, ja fast sanft auf die Tischplatte drückt. Mara hat recht mit ihrer Vermutung, dass Marco ein Problem mit seinem Vater hat. Er traut sich ja nicht mal jetzt, da der Alte das Büro verlassen hat, seinem Ärger wirklich Luft zu machen. Plötzlich erinnere ich mich an Szenen, die ich vor ein paar Wochen mal im Fernsehen gesehen habe: Die Showpsychologin ruft dem total verschüchterten Laiendarsteller zu, sich endlich gegen seine Eltern aufzulehnen, mal die ganze Wut herauszulassen.
    „Also hast du heute frei?”, frage ich vorsichtig.
    Marco sieht mich emotionslos an. „Jetzt schon.”
    „Willst du mit zu mir?”
    „Ich weiß nicht, was ich will …”
    „Schön, dann kann ich ja bestimmen. Du bist ja ohnehin für heute Abend mit mir verabredet. Und wenn wir beide bis dahin nichts zu tun haben, können wir die Zeit bis zu unserem Date auch zusammen verbringen.”
    „Ich glaube …”
    „Nix da!”, sage ich energisch und gehe um den Tisch herum. „Du stehst jetzt auf und kommst mit!”
    Marco sieht mich verdutzt an. Na ja, vielleicht habe ich ein wenig übertrieben mit dem Befehlston. Aber immerhin zeigt es Wirkung: Marco steht auf und sieht aus, als wolle er sich meinen Regeln unterwerfen.
    „Wirst sehen”, füge ich ein bisschen sanfter hinzu, „wenn du erst geduscht hast und …”
    „Du kannst aufhören”, unterbricht mich Marco. Jetzt lächelt er sogar. „Hast mich überredet.”
    „ Überredet ”, äffe ich ihn nach. „Nur ja keine aktive Beteiligung!”
    Marco lacht. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du echt ein

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