Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
verfüge ich über so viel Nikotin in kristalliner Form, dass ich eine stattliche Anzahl Mütter, die ihre Söhne verraten haben, umbringen könnte.
Dann lasse ich diese Idee fallen, und die Person, die meiner Mutter das Leben rettet, ist meine kleine Schwester. Sie ist zehn Jahre alt, unmöglicher denn je, und wer soll sich um sie kümmern, wenn Mama stirbt? Papa Gustav wird kaum die Zeit haben, und selbst habe ich wirklich keinerlei derartigen Ambitionen. Meine kleine Schwester das gleiche Schicksal wie meine Mutter erleiden zu lassen, wirkt auch nicht richtig und angemessen. Sie hat so einiges ausgeheckt und tut das immer noch, aber soweit ich weiß, hat sie nie in meinen Sachen herumgeschnüffelt.
Mama darf leben, und damit ich nicht unnötig in Versuchung gerate – an gewissen Tagen spottet meine kleine Schwester jeder Beschreibung –, spüle ich mein tödliches Gift im Klo runter. Einige Tage bevor Mama aufs Land fährt, erhalte ich meine Kassette zurück, meine privatesten Überlegungen und den dritten Schlüssel nebst einer langen Moralpredigt als Zugabe sozusagen. Mama hat beschlossen zu verzeihen, einen Strich unter die Angelegenheit zu ziehen und nach vorne zu schauen.
Das Geld, den Schnaps und die Zigaretten werde ich nie mehr zurückbekommen. Zu verzeihen, einen Strich unter die Angelegenheit zu ziehen und nach vorne zu schauen habe ich nicht vor. Dass ich eine gute Miene mache, liegt nur daran, dass ich meine Kassette dazu verwenden will, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.
»Verrat erzeugt Verrat. Vergiss das nie. Verrat erzeugt immer Verrat, einzig Verrat und nichts als Verrat. Vergiss das nie, denn sonst bist du verloren.«
Diese Worte schreibe ich auf einen Zettel und lege ihn in die Kassette für meine Geheimnisse. Ich bin mir sicher, dass Mama sich einen vierten Schlüssel besorgt hat – daran besteht kein Zweifel, und jetzt gilt es, ihr Interesse am Leben zu erhalten, bis es Zeit ist, zum vernichtenden Schlag auszuholen. Jetzt beginne ich auch, Haare an die Kassette zu kleben. Ein klassischer Trick, um herauszufinden, wie oft sie darin herumschnüffelt.
Bereits ein paar Tage später ist es so weit. Das nasse Haar, das ich auf den Deckel geklebt habe, ist weg. Irgendjemand hat die Kassette geöffnet. Ich sehe es Mama an, dass sie es war. Sie wirkt unruhig, nervös, und sie hat auch nicht das geringste Wehwehchen, über das sie sich aussprechen will.
»Du musst mir versprechen, auf dich aufzupassen, Mama«, sage ich, als wir uns verabschieden. Ich umarme sie sogar, bevor sie sich ins Auto setzt. Das scheint sie nicht froher zu machen. Im Gegenteil.
Meine Mama und meine kleine Schwester sind ins Sommerhaus nach Hogdal gefahren. Mein Vater ist über das Wochenende in den Schären, um einem seiner Arbeitskollegen beim Zimmern einer neuen Veranda zu helfen. Ich selbst habe den ganzen Tag für eine gründliche Haussuchung unserer Wohnung eingeplant, um alle Geheimnisse meiner Mutter in Erfahrung zu bringen.
Bei einer Haussuchung darf man nicht schlampen. Dann kann man es genauso gut lassen. Später in meinem Leben werde ich noch an weiteren Haussuchungen gemeinsam mit einem oder mit mehreren Polizisten teilnehmen. Einmal sind es sogar etwa zwanzig, als wir Mitte der siebziger Jahre eine Razzia in der Zentrale einer der größten Sicherheitsfirmen Schwedens durchführen. Meine erste Haussuchung mache ich jedoch ganz allein, und besser als damals lässt sich eine solche Untersuchung gar nicht durchführen.
Ich durchsuche als Erstes unseren Speicher und unseren Keller. Ich finde nichts von Interesse, und das passt zu meinem Bild meiner Mutter. Ihr starkes Kontrollbedürfnis verlangt nach rein physischer Nähe zu den Geheimnissen, die sie hütet.
Anschließend durchsuche ich die Garderobe neben der Diele, die Diele, die Toilette, das Bad, die Küche und die Dienstbotenkammer, in der meine Schwester wohnt. Ich finde nichts von Wert. Meine arme kleine Schwester hat offenbar sowohl ihr Tagebuch als auch ihr kleines Kästchen, in dem sie Geheimnisse aufbewahrt, mit aufs Land genommen. Eingedenk ihrer Begleitperson kann man nur hoffen, dass sie beide Dinge selbst beim Baden bei sich trägt.
Sicherheitshalber durchsuche ich anschließend noch mein eigenes Zimmer. Für den Fall, dass sich meine Mutter in einer hellen Stunde etwas ganz Neues und Unerwartetes hat einfallen lassen. Das ist jedoch nicht der Fall. Mama ist vorhersehbar und hat viel zu große Angst, solche Risiken einzugehen.
Das
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