Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
dass ich, sofern ich nicht Jurist, Sprachlehrer, Psychologe oder vielleicht Steward werden will, meine Qualifikationen um die schwierigeren Fächer, derer ein Meisterdetektiv auf seinem Lebensweg bedarf, erweitern muss. Bereits in dem Sommer, in dem ich mein Abitur ablege, beginne ich daher, Mathematik und andere naturwissenschaftliche Fächer nachzulernen, und da es sich um einen Beschluss handelt, den ich selbst gefasst habe, habe ich diese Kleinigkeit bereits während meines ersten Jahres an der Universität erledigt.
Im vorletzten Jahr der Oberstufe – nachdem ich gerade Rune abgeschüttelt habe – begegne ich wieder nach gut zehn Jahren meiner Lehrerin aus der ersten Klasse. Es ist nicht dieselbe Person, aber dieselbe Art Mensch, allerdings in einem anderen Körper. Wie sie heißt, spielt keine Rolle. Da ich sie in Schwedisch, schriftlich und mündlich, sowie in Literaturgeschichte habe, taufe ich sie umgehend auf den Namen Linnea Sillkvist getreu der Tradition, der Strindberg in seinem Roman Schwarze Fahnen , in dem er Ellen Key als Hanna Paj diffamiert, Ausdruck verlieh.
Die Sillkvist ist ein seltsamer Mensch. Obwohl noch über ein halbes Jahrzehnt bis zu den ersten Studentenrevolten verstreicht, läuft sie bereits in einer Mao-Jacke und Pluderhosen mit Blumenmuster herum. Sie ist dick, hat ein gerötetes Gesicht und trägt ihr Haar im Nacken zu einem Zopf geflochten. Recht umgehend bietet sie uns das Du an und verbringt die erste Woche damit, uns zu erklären, was für ein guter Mensch sie ist. Sie erzählt von ihren Eltern, die herausragende Akademiker an der Universität Lund sind, von ihrem Mann, einem berühmten Schriftsteller und Mitarbeiter des Feuilletons von Dagens Nyheter , und davon, wie radikal sie ist und welches kritische Bewusstsein sie besitzt. Am meisten liegt sie uns mit China in den Ohren, das sich unter der Führung des großen Steuermanns in das Paradies auf Erden verwandele.
Ich selbst beharre darauf, sie mit »Frau Studienrätin« anzusprechen, während ich auf eine gute Gelegenheit warte, ihr möglichst schonungslos beizubringen, dass mein Vater und ich, während ich im Sommer gejobbt habe, die Auffahrt der amerikanischen Botschaft asphaltiert haben. Kurz gesagt, unsere Beziehung beginnt weniger gut, und die Sache wird auch dadurch nicht besser, dass ich entdecke, dass meine Lehrerin in schwedischer Sprache und Literatur eine Krematoriumsvorsteherin ist.
Wenn man jemanden ein halbes Jahrhundert später schmähen will, dann muss man seine Worte sorgsam wählen. Es wäre vollkommen irreführend, Studienrätin Sillkvist mit einer gewöhnlichen Bestattungsunternehmerin zu vergleichen, die sich nur um ihre eigenen Leichen kümmert. Die Sillkvist hat einen anderen und bedeutend wichtigeren Auftrag im Leben, nämlich jeden funktionierenden literarischen Text in Asche zu verwandeln. Jedes Gefühl, jeden Gedanken, jeden Sinn und jedes Wort zu Asche zu verbrennen, die einem durch die Finger rinnt, mag man seine Hand noch so fest zur Faust ballen.
Alles, was ich lese und was mir gefällt, habe ich laut der Sillkvist missverstanden. Mir ist die tiefere symbolische Bedeutung des Gelesenen vollkommen entgangen, und was diese Symbolik betrifft, so gibt es simplerweise nur eine wahre Deutung, und zwar jene in ihrem eigenen Kopf. Da ich leider darauf bestehe zu widersprechen, gibt sie mir natürlich recht umgehend eine schlechtere Note.
Dass das einfach ein Ausdruck des normalen Antagonismus zwischen Salonkommunistin mit bürgerlichem Hintergrund und Arbeiterjungen mit Wurzeln in der Sozialdemokratie sein könnte, ist ebenfalls nicht wahr. Es geht nicht darum, dass ich sie ständig daran erinnere, wo sie in Wahrheit hingehört und welche Klasse sie verraten hat, die Erklärung ist tiefschürfender, sie findet sich im Dogmatismus, der in ihrem Rückenmark sitzt. In dem Klassenzimmer, in dem die Sillkvist regiert, tut man, was der Steuermann sagt, so einfach ist das.
Die Sillkvist wird später die bekannteste Kulturpersönlichkeit, die ich in der Oberstufe als Lehrerkraft gehabt habe. Sie ist seit langem hochgelobt und mit allen erdenklichen Preisen bedacht. Vor bald fünfzig Jahren trennten sich unsere Wege. In dieser Zeit kann viel mit einem Menschen geschehen, und um sicherzugehen, dass mir nicht ein ernster Fehler unterläuft, beschließe ich, ihr neuestes und überall besprochenes literarische Werk zu lesen, bevor ich erzähle, wie ich sie als Lehrerin erlebt habe.
Ist sie heute eine
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