Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
ganz einfach an dem gegenseitigen Respekt liegt, der einem Gefühl der Zusammengehörigkeit entspringt. Dies wird nie ausgesprochen, ist aber ständig präsent. Rune ist der Sohn eines Kleinbauern aus Sörmland, er ist nur siebzehn Jahre älter als ich, und er scheint dieselben Schriftsteller zu schätzen.
Es fehlen uns also die üblichen Klassen- und Generationsgegensätze, und wir hegen starke gemeinsame Interessen. Ausnahmsweise scheinen die Voraussetzungen, ein funktionierendes Verhältnis zu einem meiner Lehrer aufzubauen, gegeben zu sein. Stattdessen kommt es genau umgekehrt. Rune setzt bei meinen Aufsätzen umgehend die Schere des Sprachpflegers an und verwendet genauso viel rote Tinte, um meine Grammatik und Sprache in Ordnung zu bringen, wie ich blaue Tinte verwende, um meiner Fantasie, meinen Gedanken und Überlegungen freien Lauf zu lassen.
Das ist unheimlich frustrierend, und am schlimmsten ist es, sich das ganze Lob, das er über bestimmte meiner Klassenkameraden ausgießt, Dilettanten aus der oberen Mittelschicht mit ordentlich gescheiteltem Haar, die nicht die geringste literarische Begabung besitzen, anhören zu müssen. Bereits nach einem Halbjahr bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dieser Mann recht unwissend sein muss und dass ihn in einer baldigen Zukunft – wenn dieser Tag kommt – dasselbe wohlverdiente Schicksal ereilen wird wie jenes, das Geijerstam durch seinen Schriftstellerkollegen Strindberg widerfuhr. Und wie zum Teufel kann ihm entgangen sein, dass mein Feuer das verzehrendste der Norra Real ist?
Es kommt jedoch ganz anders. Bereits ein Jahr nachdem sich unsere Wege getrennt haben und ich die letzte Klasse der Oberstufe besuche, sehe ich plötzlich ein, dass Rune mir beigebracht hat, ein sowohl begreifliches als auch funktionierendes Schwedisch zu schreiben. Der einzige Grund, warum er mich so durch die Mangel gedreht hat, war, dass ihm meine geistige Entwicklung wirklich wichtig war und dass er ihretwillen einiges an Mühen auf sich nahm. Das ist eine erschütternde Einsicht, ich übertreibe nicht. Der Grund für Selbstkritik und Abbitte wird einem nur selten so deutlich, und es werden fast vierzig Jahre vergehen, bis ich diese Sache in Ordnung bringen kann.
Plötzlich begegnen wir uns bei einer Ausstellung des Auktionshauses Bukowskis. Ich bin dort, um die letzte freie Wand meiner Bibliothek in meiner großen Wohnung auf der richtigen Seite der Odengatan zu füllen. Rune will sich einfach nur gute Kunst anschauen, und auch im Übrigen ist er genau derselbe wie damals, als sich unsere Wege auf dem Gymnasium trennten. Seither treffen wir uns regelmäßig. Ich lade ihn im Frühjahr und im Herbst ins Restaurant ein und überreiche ihm meinen neuesten Roman (»vom Freund/Autor«), während es Rune immer gelingt, mir gute Bücher zu schenken, die ich noch nicht gelesen habe. Wir lassen es uns gut gehen, trinken guten Wein und sprechen über nicht anwesende Idioten aus unserer gemeinsamen Zeit am Norra Real. Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, und das Leben kann kaum besser werden. Es ist schon sehr merkwürdig, dass sich zwei Menschen auf diese Weise wiederfinden können. Inzwischen sind wir außerdem beide alt, aber er ist bedeutend fitter als ich.
Genug davon, zurück zur Schulzeit. In der letzten Klasse der Oberstufe wechsele ich vom naturwissenschaftlichen zum allgemeinbildenden Zweig. Der Grund dafür ist, dass ich plötzlich eingesehen habe, dass ich bereits alles kann, um mit den allgemeinbildenden Fächern das Abitur abzulegen. Ich brauche also während der zwei Jahre, die mir noch bis zum Abschluss bleiben, keine Zeit mehr auf Hausaufgaben und anderen Unsinn verschwenden. Außerdem komme ich in eine Klasse, die zur Hälfte aus Mädchen besteht. Gesagt, getan, höchste Zeit, dass ich mich dem widme, dass ich mich dem Wesentlichen im Leben widme. Der Lehrplan, dem ich folge, ist ganz und gar mein eigener.
Im Nachhinein erweist sich dies als der dümmste Beschluss meiner Jahre auf der höheren Schule. Zum einen verliere ich Rune, kurz bevor ich einsehe, dass er nur versucht, etwas Ordnung in die für die Sprache verantwortlichen Teile meines Kopfes zu bringen. Zum anderen treffe ich meine erste große Liebe. Sie ist eine Klasse unter mir und besucht den naturwissenschaftlichen Zweig, und bei der ersten Begegnung mit ihr lasse ich jeden Gedanken daran, mit meinen neuen Mitschülerinnen etwas Konkreteres anzufangen, fallen.
Sobald ich das Abitur gemacht habe, sehe ich ein,
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