Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
zitternd, piepsend, blutigrot gestreift und nur unbedeutend größer als mein eigenes Sparschwein. Gleichzeitig und in allem Übrigen sehen sie richtigen Schweinen schon auffallend ähnlich, und als das Ganze vorbei ist, darf ich eines von ihnen halten. Das ist ein seltsames und großartiges Gefühl, das ich entschärfe, indem ich das Ferkel auf den Rüssel küsse.
Gut zwanzig Jahre später erzähle ich meiner ältesten Tochter davon. Sie ist zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt und ebenso interessiert wie seinerzeit der Beobachter – der Erzähler. Am meisten interessiert sie, wie die eigentliche Geburt vonstattenging.
»Sie plumpsten da gewissermaßen raus«, erkläre ich pädagogisch. »Es waren wahnsinnig viele, genauso viele wie alle Kinder im Kindergarten. Sie sind einfach aus dem Bauch der Mutter rausgeplumpst.«
Meine Tochter sieht mich erstaunt an und schüttelt abwehrend den Kopf.
»Aus dem Hintern«, berichtigt sie mich. »Kinder fallen der Mutter aus dem Hintern. Aber erst wohnen sie im Bauch.«
Ich nicke bestätigend, aber ohne etwas zu sagen. Wir gehören verschiedenen Generationen an, und ich bin schließlich ihr Papa.
»Warst du dabei, als ich geboren wurde?«, fragt sie.
Ich nicke erneut.
»Hm«, sage ich.
»Erzähl«, sagt sie.
Ich habe sechs Kinder, vier eigene und zwei Bonuskinder, die ich erst spät im Leben bekomme. Ich war dabei, als zwei meiner eigenen Kinder zur Welt kamen, meine älteste und meine jüngste Tochter. Die Erklärung ist folgende:
Mein ältester Sohn ist das Ergebnis einer, wie man es heute im Zeitalter der Schonungslosigkeit nennt, zufälligen Verbindung.
Seine Mutter und ich waren sehr jung, als er zur Welt kam. Wir lebten nie zusammen. Wir begegneten uns im Sommer, und als er im Sommer darauf zur Welt kam, erfuhr ich es telefonisch am nächsten Tag. Er war eine gute Woche alt, als ich ihn zum ersten Mal sah.
Dieser Beginn hat auch unser Verhältnis während seines ganzen und während meines gesamten erwachsenen Lebens geprägt. Nicht auf irgendeine revolutionäre, dramatische oder auch nur in der konkreten Situation empörenden Art und Weise. Wir können einfach nicht über wesentliche Dinge sprechen, die mit unserer gemeinsamen Geschichte zu tun haben.
Wir können somit nicht einmal miteinander streiten. Wir können jedoch unsere Situation und unsere Unterschiedlichkeiten analysieren (und uns sogar in Kleinigkeiten einig sein, falls man uns nun Glauben schenken will). Es bereitet uns sogar große Freude zusammen zu sein, obwohl wir beide immer noch darauf warten, dass der andere den ersten Schritt tut und auf Wesentliches zu sprechen kommt.
Wir berühren aber nie unsere schlecht verheilten Narben, und es konnten Monate und Jahre ohne jeglichen Kontakt, es sei denn über Zeitungen, Hörensagen oder Dritte, verstreichen. Gewiss ist dies die traurigste Geschichte, da wir uns beide damit abgefunden zu haben scheinen und obwohl sie wahrscheinlich nie zu einem Ende kommen wird, solange einer von uns beiden lebt.
Meine zweitälteste Tochter ist adoptiert. Sie kam an einem Herbsttag vor 37 Jahren nach Schweden, als sie einige Monate alt war. Sie traf in einem wattierten Schlafsack aus Seide ein, und als ich sie auf Arlanda durch den Zoll trug, war sie das kleinste menschliche Wesen, das ich je in meinen Händen gehalten hatte. Ich trage sie durch die diffuse, anonyme Menge um uns herum, ich trage sie, weg oder nach Hause, und sie ist so klein, dass ich es nicht einmal wage, sie zu umarmen. Mit geschlossenen Augen liegt sie auf meinem Arm, und als Geburt ist das so nahe am Leben, wie man es als Mensch nur verlangen kann.
Einige Jahre später ist ihr klar, dass sie nie im Bauch ihrer Mutter gelegen hat, und während einer Phase kommt sie oft darauf zu sprechen, aber erst viel später fragt sie mich nach ihrem richtigen Vater. Du bist zur Welt gekommen, als ich dich zum ersten Mal sah, denke ich. Aber ich sage es nicht.
»Ich war immer dein richtiger Vater«, antworte ich.
Falls es sich bei einer Geburt um ein bestimmtes, strikt abgegrenztes physisches Ereignis handelt, und wenn es um meine Kinder geht, so bin ich zwei Mal dabei gewesen. Im Übrigen und eingedenk dessen, was wirklich zählt, sind es drei Mal und einmal ohne Entbindung. Spät im Leben habe ich dann noch zwei weiteren Geburten beigewohnt, obwohl es dabei nicht um mich ging – in dem Sinne, von dem hier die Rede ist –, sondern um andere und um das Leben, das sie vor mir gelebt haben. Meine dritte
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