Der Professor
dem Nummer 4 ihre nächsten Jahre verbringen würde. Nicht sehr wahrscheinlich, dass sie je gefunden wurde, und sollte tatsächlich einmal ein einsamer Wanderer auf ausgeblichene Knochen stoßen, die ein wildes Tier ausgegraben hatte, sei’s drum – da waren sie längst bei Serie Nummer 5, wenn nicht gar 6.
Als Nächstes erkundete Michael sämtliche Polizeistationen auf seiner Route. Er hatte bereits das Netz der Streifenrouten der gesamten Staatspolizei auf seiner Fahrt ausgemacht, außerdem die örtlichen Reviere, die für die ländlichen Gegenden, durch die er kam, zuständig waren. Er hatte sogar die Mitarbeiter und die Dienstpläne für sämtliche Nationalpark-Aufseher in Erfahrung gebracht. Vom amerikanischen Automobilclub hatte er sich übers Internet die Reihe der Verkehrskontrollstellen durchgeben lassen und die Zeiten ermittelt, zu denen man die größte Gefahr lief, herangewunken zu werden. Er genoss diese Art Vorbereitung, das Führen von Listen, die schnellen Computerrecherchen. Manchmal dachte er, dass er auch zum Bergsteiger getaugt hätte, der Expeditionen zu den höchsten und gefährlichsten Gipfeln führt. Er war gründlich und liebte Zahlen. Sie gaben ihm das Gefühl, die Kontrolle über den Tod zu haben.
Außerdem machte er sich eine Liste mit der richtigen Ausrüstung – Schaufel, Säge, Hammer, Spitzhacke und Draht – für die letzten Szenen von Serie Nummer 4. Auch wenn er nicht wusste, ob er alles, was er aufschrieb, auch benutzen würde, war es ihm wichtig, auf jegliche Eventualitäten vorbereitet zu sein. Er überprüfte noch einmal die kleine, tragbare Mini- HD -Videokamera, die er auf ihre letzte Reise mitnehmen würde. Er hatte Ersatzbatterien und -bänder sowie ein kleines Stativ dabei, auf das er den Rekorder stellen konnte. Er machte sich eine Notiz, dass er die Verbindungsklemme mit Schmieröl bearbeiten sollte, damit sie reibungslos funktionierte.
Als er mit all diesen Einzelheiten fertig war und im Kopf mehrfach jeden Abschnitt durchgespielt hatte, stand er auf und ging zu Linda hinüber.
Er fand sie erschöpft an den Monitoren, wo sie gähnte und sich räkelte, während sie Nummer 4 überwachte. Michael blieb stehen. Er spürte, dass irgendetwas, das sie mit Nummer 4 verbunden hatte, abhandengekommen war.
Er hatte zwei Checklisten – eine für M. und eine für L. Linda überflog beide und nickte, auch wenn ihr die Vorstellung unbehaglich war, dass er das Bauernhaus verlassen musste, um ein paar Dinge zu kaufen. »Willst du gleich los?«, fragte sie.
Michael blickte auf den Monitor, auf dem Nummer 4 sich eingerollt hatte. »Passt doch ganz gut«, sagte er.
»Komm möglichst schnell zurück.«
»Es sind immer noch Details zur Schlussszene auszuarbeiten«, antwortete Michael.
Sie hatte ein anderes Blatt in der Hand, einen Drehbuchteil, den Michael am Vortag geschrieben hatte. Sie hatte selbst einige Elemente eingefügt, so wie ein Produzent, der das erste Rohmanuskript eines Drehbuchautors durchgeht. Die Ränder auf der Seite waren mit Anmerkungen in Lindas kleiner, eleganter Handschrift gespickt.
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich bin nur noch nicht sicher, dass es so richtig ist.«
Sie begleitete ihn zur Tür, und sie zögerten beide. Es war das erste Mal seit den ersten Stunden von Serie Nummer 4, dass sie sich trennten. Tatsächlich waren sie die ganze Zeit kaum einmal draußen gewesen, so dass ihnen die leichte Brise und die milde Temperatur der klaren Luft fast zu Kopf stiegen. Sie atmeten beide gierig ein.
Michael drehte sich zu dem alten Bauernhaus um. Es war ein schäbiges, verstaubtes und heruntergekommenes Gebäude. »Wir können von Glück sagen, dass wir in dieser Bruchbude nicht die ganze Zeit niesend und hustend herumgelaufen sind«, sagte er. »Ich bin nicht böse, hier so schnell wie möglich auszuziehen.«
Linda drückte ihm die Hand. »Bleib nicht zu lange weg«, sagte sie.
»Versprochen. Brauchst du was aus der Stadt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, alles da.« Sie ließ den Blick schweifen. In der Ferne säumten Bäume ein Feld, hinter der baufälligen blassroten Scheune, in der sie ihren Mercedes abgestellt hatten, wogte ein Teppich aus saftigem grünem Gras und Unkraut über die hügelige Landschaft. Zerbrochene Holzzäune und rostiger Stacheldraht rund um die Weiden zeugten davon, dass hier einmal Rinder und Schafe gehalten worden waren. Der lange Schotterweg zum Bauernhaus wand sich durch die vereinzelten Reste des alten Waldbestands,
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