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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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lehnte sich zurück und räkelte sich wie eine Katze, die gerade aufwacht. Es war eher unwahrscheinlich, dass der Mann auch nur einen Pfifferling auf »Klein-Jennifer« oder Adrian oder sonst etwas gab, das außerhalb seiner persönlichen Interessen lag. Adrian – oder, besser gesagt, seine Kreditkarte – hatte Wolfe Zugang zu ein paar neuen verheißungsvollen Reisezielen verschafft. »Auch wenn das nun nicht Klein-Jennifer sein sollte«, sagte Wolfe, »handelt es sich auf jeden Fall um ein Mädchen, das Hilfe braucht, Professor. Denn ich glaube nicht, dass das, was für die Kleine
als Nächstes
kommt, allzu erfreulich ist.« Wolfe lachte. »Sie verstehen? Kleiner Gutenachtkalauer. Sehr treffend, dieser Serientitel.«
    Adrian stand auf. Er warf einen letzten Blick auf das maskierte Mädchen, als überließe er sie, indem er jetzt ging, schutzlos einer bösen Macht. Während er sie betrachtete, hatte er plötzlich das Gefühl, als streckte sie durch den Bildschirm die Hand nach ihm aus. Wie eins seiner Gedichte fing er an, sich die GPS -Koordinaten immer wieder stumm aufzusagen. Gleichzeitig hörte er in seinem Hinterkopf die Befehle von Brian,
Tu dies! Tu das! Nun mach schon! Uns läuft die Zeit davon!,
doch erst als er seinen toten Sohn flüstern hörte:
Du weißt, was du siehst,
riss er sich von dem Bild los und schlurfte aus dem Haus des Sexualstraftäters.

39
    M ichael saß an einem zerkratzten weißen Küchentisch aus Resopal, der wegen eines zu kurzen Beins unangenehm wackelte, an seinem Laptop und machte sich unter der Überschrift »Endspiel« Notizen. Das Wackeln irritierte ihn, und so zog er eine Neun-Millimeter-Pistole unter seinem Gürtel hervor, warf eine einzelne Patrone aus und stabilisierte seine Arbeitsfläche, indem er die Kugel unter das störende Tischbein schob.
    »Mein Mann, der alles kann«, rief Linda, als sie im Nebenzimmer vorbeiging.
    Michael grinste und arbeitete weiter. Durch das Fenster über einem Spülstein voll schmutzigem Geschirr blickte er in einen wolkenlosen, blauen Nachmittagshimmel. Glücklicherweise war der Waldboden ein paar Autostunden weiter nördlich von den reichlichen Regenfällen und der Schneeschmelze, die nach den langen Wintermonaten in Neuengland ihre Zeit braucht, noch ziemlich weich. Dorthin würde er jedenfalls fahren, er wusste nur noch nicht genau, wann – vielleicht morgen oder übermorgen, auf jeden Fall schon bald.
    Nummer 4, stellte er fest, wurde alt. Nicht an Jahren, sondern an Attraktivität. Zwar war nie ganz auszuschließen, dass ihnen eine neue Wendung im Handlungsverlauf in den Sinn kam, die ihre Geschichte noch ein bisschen in die Länge zog, doch er wusste auch, dass die Kundschaft nicht nur zufriedengestellt werden wollte, sondern zugleich auch den ständigen Kitzel von etwas Neuem verlangte. Er musste ihnen das Ende ankündigen und einen Vorgeschmack liefern. Linda hatte ihm das erklärt. »Stammkunden sind der Lebensnerv eines jeden Unternehmens.« Er liebte den Ton der Jungmanagerin, den sie zuweilen an den Tag legte, wenn sie nackt waren. Den Gegensatz zwischen ihrem wilden Sex und ihren präzisen, durchdachten Überlegungen fand er erregend.
    Am liebsten wäre er aufgestanden, zu ihr hingegangen und hätte sie umarmt. Meist schmolz sie dahin, wenn er ihr spontan seine Valentinstag-Zuneigung zeigte. Michael war schon halb aufgestanden, als er innehielt.
Mehr Planung. Weniger Ablenkung. Beende Serie Nummer
4
mit einem starken Schluss
.
    Beinahe hätte er laut gelacht. Manchmal war es sexy, einfach seine Arbeit zu erledigen. Er wandte sich vom Fenster ab und beschäftigte sich wieder mit der Entsorgung von Nummer 4. Er plante eine Route, die tief in den Acadia National Forest, einen riesigen Staatsforst in Maine, führte, gut dreihundertfünfzig Kilometer vom Bauernhaus entfernt. Es handelte sich um eine grandios wilde Gegend, die sie im vorletzten Sommer zusammen wie ein Paar müslifutternde Naturapostel erkundet hatten: Hirsche und Elche, darüber Adler in der Luft, tosende, schäumende Flüsse voller Lachse und Forellen und vollkommen entlegen. Einsamkeit konnte er für sein Vorhaben wahrlich brauchen.
    Der Staatsforst war von einem Gitterwerk alter und längst nicht mehr benutzter Holzfällerwege durchzogen, die tief in die Wildnis hineinreichten. Er brauchte Wege, die er mit dem Truck befahren konnte, auch wenn das bedeutete, dass er über zerfurchte, steinige, seit Jahren unbenutzte Pfade rumpeln musste. Es war ein passender Ort, an

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