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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Forderungen. Diese reichten von so subtilen Bemerkungen wie
Ich muss ihre Augen sehen
über das vorhersehbare
Ficksieficksieficksie
bis hin zu Aufforderungen wie
Töte sie. Töte sie jetzt!
    Michael wusste, dass seine Antworten wichtig waren, und er verwandte einige Zeit auf jede einzelne Formulierung. Er hatte ein ausgeprägtes Sensorium für die Bedürfnisse der Subscriber, die sich auf Whatcomesnext.com eingelassen hatten. Er sah sich gerne als Schriftsteller des New Age, als Poeten der Zukunft. Traditionelle Autoren, die Monate und Jahre darauf verwandten, Geschichten zu Papier zu bringen, waren in seinen Augen Dinosaurier und eindeutig vom Aussterben bedroht. Er bediente sich einer anderen Sprache, die nicht auf Englisch, Deutsch, Russisch oder Japanisch beschränkt war. Er war auch kein Maler, der sich auf die Maße seiner Leinwand beschränken musste. Er beherrschte virtuos die unterschiedlichsten Pinselstriche. Im Unterschied zu einem Filmregisseur war er an kein strenges Budget gebunden, und er schuf Bilder voller Ungewissheit und Überraschungen. Er war auf keinen Dialekt und kein Medium festgelegt. Er war ein Künstler, der Film und Video mit dem Internet sowie Sprache und Performance zu einem multimedialen Konzept verknüpfte, das einer neuen Ära Rechnung trug und nicht in überholten Traditionen festgefahren war. Er betrachtete sich teils als Dokumentarkünstler, teils als Produzent und vor allem als Avantgarde. Er war ein Designer der Spontaneität.
    Dabei störte es ihn nicht im Geringsten, dass sein Schaffen auf einer Straftat basierte. Schließlich waren alle großen Fortschritte in der Kunst risikobehaftet.
    Linda schlief in den zerknüllten Laken auf dem Bett und machte beim Atmen leise, friedliche Geräusche. Ihre langen Beine lagen frei, und ihre Haut glänzte. Sie lag, ein Kissen unter sich geklemmt, halb auf dem Bauch, und durch das Betttuch, das sie sich eng um Rücken und Schultern gezogen hatte, zeichneten sich ihre Brüste ab. Bestimmt hatte sie glückliche Träume voller einfacher, magischer Bilder.
    Manchmal ertappte er sich dabei, sie anzustarren, wenn sie schlief, und dann hatte er das Gefühl, als sähe er ihr dabei zu, wie sie alterte, wie ihre makellose Haut runzlig wurde, ihr fester Körper erschlaffte. Dann stellte er sich vor, wie sie beide zusammen alt wurden, was ihm einfach unmöglich schien: Sie wären für immer jung.
    Gelegentlich warf er einen Blick auf die Kameramonitore, um Nummer 4 zu überprüfen. Auch sie schlief offenbar gerade – zumindest hatte sie sich in der letzten Stunde kaum bewegt. Ihre Träume waren höchstwahrscheinlich weit weniger friedlich. Nummer 1 und Nummer 2 hatten oft im Schlaf geschrien. Nummer 3 hatte gestöhnt, an den Fesseln gezerrt – ein Vorbote ihrer heftigen Gegenwehr in ihrem Wachzustand. Dadurch war Serie Nummer 3 kürzer ausgefallen, als er sich erhofft hatte – denn Nummer 3 war einfach zu schwer zu bändigen gewesen und hatte sie überfordert. Andererseits hatte er von ihr, bevor die Show zu Ende ging, eine Menge gelernt – und diese Lektionen setzte er bei Nummer 4 in die Praxis um.
    Er tippte ein paar Tastenkombinationen und zoomte eine Kamera zu einer Nahaufnahme heran. Nummer 4 hatte den Mund leicht geöffnet, und ihr Kinn schien in Beton gegossen.
Sie wird bald schreien,
dachte er.
    Manche Schreie werden von Träumen hervorgerufen, andere von dem, was im Wachzustand passiert. Er war sich nicht sicher, was schlimmer war.
Nummer
4
muss es wissen
.
    Er seufzte, strich sich mit den Händen durchs lange Haar und rückte sich die Brille zurecht. Er überlegte, ob er die Zeit für eine kurze Dusche erübrigen konnte. Während er zögerte, sah er, wie Nummer 4 zuckte und mit der Hand unwillkürlich an das Halsband fasste.
Träume vom Ertrinken,
vermutete er.
Vielleicht auch vom Ersticken. Oder Albträume davon, lebendig begraben zu sein.
    Er wartete, da Nummer 4 wahrscheinlich in den nächsten Minuten aufwachen würde. Die Träume waren so lebhaft, so beängstigend, dass der Schläfer davon oft erwachte. Jedenfalls war das seine Theorie.
    Zu den Begleiterscheinungen ihrer Strategie, für die völlige Desorientierung der Person zu sorgen – eines der zentralen Elemente ihrer ganzen Show –, gehörte es, dass sie wahrscheinlich in unregelmäßigen Abständen wach sein würde, da ihr Tag-Nacht-Rhythmus aufgehoben war. Dies brachte einen praktischen Vorteil mit sich – Serie Nummer 4 wurde in so viele Zeitzonen in so vielen

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