Der Profi
Natriumpentothal und mehrerer Spritzen.
Ich war sterbensmüde. Dennoch fuhr ich mit dem Auto nach Chueca, um Apolinar Estilo ausfindig zu machen. Ich kannte einige Schwulenlokale in diesem Bezirk, und obwohl es schon spät war, musste ich mein Glück versuchen. Ich parkte mein Auto in einer Tiefgarage und machte mich daran, Straßen und Bars des Viertels zu durchstreifen. Ich führte Gespräche mit Barkeepern, Strichern, Stammgästen und Türstehern von Szene-Discotheken. Ich steckte ihnen allen großzügige Trinkgelder zu. Ich verbrachte lange Stunden auf der Pirsch. Als ich das vorletzte Lokal verließ, dämmerte bereits der Morgen und vertrieb die letzten Herumtreiber aus den Nachtclubs.
Ich war entschlossen, dass diese Bar mein letzter Versuch sein würde. Ich näherte mich der Theke, sie lag neben der Tanzfläche, die Wände waren ganz in Schwarz gestrichen. Um diese Stunde wirkte das Ambiente ziemlich heruntergekommen. Die Kunden, fast alle grau meliert, kauerten an der Theke, ihre Drinks kreisten in ihren Händen, während sie mit zwanzigjährigen Lateinamerikanern, Rumänen oder mit manchen noch sehr jungen Marokkanern verstohlene Blicke austauschten
Es waren nicht mehr allzu viele Stricher im Lokal, einige machten müde Gesichter, andere hatten von Dro gen und Aufputschmitteln weit aufgerissene Pupillen. Ich ging auf einen von ihnen zu. Er spaßte mit einem Kameraden, unter seinem hautengen schwarzen T-Shirt zeichnete sich seine Brustmuskulatur ab. Er wirkte voller Energie. Er würde problemlos noch ein paar Partynächte durchstehen. (Vor allem weil er sich dermaßen mit Ta bletten vollgepumpt hatte.) Gefärbtes, kurz geschorenes blondes Haar. Seine Körpersprache war bis ins letzte Detail einstudiert. Als er mich sah, wog er schnell ab, ob er diese Nacht noch ein paar Euro verdienen wollte oder besser sein Glas austrank und ins Bett ging, um für seinen nächsten Einsatz Kräfte zu sammeln.
»Na, wie geht’s?«, begrüßte ich ihn.
»Du bist ein bisschen spät dran, was?«
Als er lächelte, blitzte eine perfekte und strahlend weiße Zahnreihe auf. Er war von einer Wolke aus intensivem Parfumgeruch umgeben. Sein Freund musterte mich hemmungslos von oben bis unten. Offenbar sah ich heute Nacht wirklich schlecht aus, die Reaktion der beiden war nicht gerade enthusiastisch. Also kam ich direkt zum Thema.
»Ich will nichts von dir. Ich suche jemanden namens Apolinar Estilo. Sagt dir der Name was? Er nennt sich auch Estilete .«
Der Junge tat, als würde er das Interesse am Gespräch verlieren.
»Keine Ahnung …« Dann drehte er sich um, um mit seinem Kollegen weiterzureden.
Ich zog einen Zweihunderteuroschein heraus.
»Wenn du dein Gedächtnis ein bisschen in Schwung bringst, brauchst du heute Nacht deinen Hintern nicht mehr hinzuhalten …«
Der Saal war verräuchert und die Musik zu dieser Stunde noch immer dröhnend laut. Er wandte sich mir erneut zu und sah mich über das Glas seines Drinks hinweg an.
»Ich wiederhole es gerne noch mal: Ich habe den Namen noch nie im Leben gehört.«
Seine Körperhaltung widersprach dem, was er gerade gesagt hatte, diametral. Es ist nicht besonders schwierig zu merken, ob jemand lügt. Man muss nur ein guter Beobachter sein. Der Stricher vermied es, mir direkt in die Augen zu sehen.
Natürlich kannte er Estilo. Aber in seinem Beruf überlebte man nur, wenn man sich von Problemen fernhielt. Wenn man Partei ergriff, schaffte man sich nur Feinde. Und einen Feind zu haben konnte in seiner Welt tödlich sein. Also versuchte er seine Nervosität, so gut es ging, zu überspielen. Es war nichts aus ihm herauszubringen.
Ich wartete vor dem Lokal auf ihn. Nach zwanzig Minuten gingen die Straßenlaternen aus, und die ersten Sonnenstrahlen beleuchteten die Stadt. Der Stricher kam endlich aus der Bar. Er rückte sich seine Jeansjacke zurecht und ging die Straße hinauf, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich folgte ihm in einem gewissen Sicherheitsabstand. Wir liefen parallel zur Gran Vía durch die Calle de la Reina, bis wir ins Hortaleza-Viertel kamen. Dann bogen wir in die Calle de la Farmacia ab. Dort blieb der Stricher vor einem Haus stehen. Er brauchte ein paar Sekunden, um den Schlüssel ins Türschloss zu stecken. Ich beschleunigte meine Schritte. Als er die Tür geöffnet hatte, stieß ich ihn ins Innere des Hauseingangs. Er schrie etwas und fiel kopfüber zu Boden.
»Was soll das?«
»Ruhig Blut, Junge! Wenn du dich kooperativ verhältst, werde ich dir nicht
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