Der Profi
wehtun …«
Er war schnell und gewieft. Und er verlor keine Zeit mit langen Vorreden. Das Leben der Straße hatte ihn vieles gelehrt. Er sprang mit einem Satz auf, und bevor ich reagieren konnte, sprintete er wie vom Teufel besessen die Treppe hinauf.
»Jetzt bau doch keinen Scheiß, Mann … Es ist schon spät!«, rief ich ihm erschöpft hinterher.
Im zweiten Stock angekommen, versuchte der Stricher mit Hilfe eines großen Schlüsselbundes in seine Wohnung zu gelangen. Aber die Nerven spielten ihm einen Streich. Er zitterte und fand das Schlüsselloch nicht. Als er es endlich gefunden hatte, drehte er den Schlüssel im Schloss herum und versuchte mit aller Kraft die Tür aufzustoßen. Aber die Tür gab nicht nach: In der Eile hatte er vergessen, den Sicherheitsriegel zu entsperren. Da stand ich längst hinter ihm und zog meine Glock. Eine ziemlich große Waffe: österreichisches Fabrikat, siebzehn Kugeln, beeindruckende Schussgeschwindigkeit.
»Wenn du nicht stillhältst, muss ich dich abknallen!«
Der Junge stieß einen Seufzer aus und gab sich geschlagen.
»Was willst du?«
»Apolinar Estilo …«
»Wer zum Teufel bist du?«
Ich kramte wieder meinen Zweihunderteuroschein hervor.
»Jemand, der Geld hat und einen Killer aus dem Verkehr ziehen will.«
Der Junge sah mich überrascht an und meinte:
»Aus dem Verkehr ziehen? Bist du völlig durchgeknallt? Das Schwein hat dich in zwei Minuten abgemurkst! Und wenn es dir trotzdem gelingt, ihn festzunehmen, wird er so lange warten, wie eben nötig, um sich zu rächen. Nicht einmal als Polizist hast du …«
»Junge, ich bin kein Bulle. Ich will Estilo auch nicht festnehmen. Es geht um eine persönliche Rache!«
»Eine persönliche Rache?«, sagte er höhnisch. »Verstehe …«
Ich trat näher an ihn heran.
»Zweihundert Euro oder eine Kugel im Bauch? Du hast die Wahl …«
»Du kannst mich mal kreuzweise!«
Ich versetzte ihm mit meiner Glock einen heftigen Schlag ins Gesicht. Die Pistole ist aus hartem Kunststoff gefertigt, aber der Lauf ist aus reinem Stahl. Ich hatte ihm die Lippe gespalten. Ich gestehe gern, dass ich mich schlecht dabei fühlte. Der Junge war nur ein Opfer mehr und versuchte sich zu schützen. Ich war todmüde. Das soll nicht als Ausrede dienen, ich weiß, dass ich Unrecht getan habe. Der Junge geriet ins Schwanken. Ich hielt ihn an seiner Jeansjacke fest, damit er mir nicht entwischen konnte.
»In den nächsten Tagen wirst du wohl kaum in der Lage sein zu arbeiten. Wenn ich will, kann ich noch länger so weitermachen. Es hängt bloß von dir ab …«
Der Stricher hielt sich schützend die Hände vors Gesicht.
»Nein, warte … Aber was ist, wenn er herausfindet, dass ich …«
»Das wird er nicht.«
Der Junge befühlte seine Wunde mit der Zungenspitze.
»Er ist ein paarmal in der Tanzbar aufgetaucht, wir kennen ihn inzwischen. Ein fieses Sado-Schwein! Es gibt nicht einen einzigen Schwulen in Chueca, der mit zu ihm nach Hause gehen möchte. Zumindest nicht, wenn er am nächsten Tag noch normal laufen will! Der Typ steht auf die harte Tour, er genießt es, seinen Partnern Schmerzen zu bereiten. Im letzten Monat landete einer der Jungs seinetwegen im Leichenschauhaus. Niemand kann es wirklich beweisen, aber ich weiß es, Mann … Außerdem hat das Arschloch keinen müden Pfennig. Ein beschissener Hungerleider ist er, weiter nichts! Versuch’s einfach mal in der Gegend um Ventas!«
Ich atmete tief durch. Ich muss zugeben, die Jahre gehen nicht spurlos an einem vorüber, und eine durchwachte Nacht spüre ich heute in den Knochen. Meine Energie von früher ist schon seit einer Weile den Bach runter …
»Und was, wenn ich ihn dort nicht finde?«
»Ist dein Problem«, antwortete der Junge scheinbar cool, aber seine brüchige Stimme wirkte nur wenig überzeugend. Ich steckte die Pistole ins Halfter und ließ ihn los.
»In diesem Punkt irrst du dich. Es ist von jetzt an genauso dein Problem. Außerdem weiß ich ja, wo du wohnst …« Den folgenden Satz hatte ich schon immer einmal zu jemandem sagen wollen, er klang genau wie aus einem Western: »Sollte ich Estilete nicht finden, komme ich zurück!«
Bevor ich ging, steckte ich ihm den Zweihunderteuroschein in die Jackentasche und einen zweiten noch dazu zur Beruhigung meines schlechten Gewissens. Ich verabschiedete mich mit einem kurzen Gruß. Ich konnte es kaum erwarten, mich in mein Bett zu legen.
Abgesehen von den Massakern im Irak, den Hungersnöten in Afrika, der politischen
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